SOUVENIRСУВЕНІР VERANSTALTUNGENПОДІЇ
  • IMPRESSUM
  • DATENSCHUTZ
  • ALLGEMEIN

Der Setzkasten füllt sich im Laufe des Projekts.

  • Das Souvenir, das ich mitbringe, ist eine kleine Tonskulptur. Sie wurde mir von einem mir bekannten Psychiater geschenkt – die Skulptur wurde von einem seiner Patienten angefertigt. Im Jahr 2016 erzählte mir der Psychiater eine Geschichte über einen seiner Patienten, der im Krieg im Donbass kämpfte. Er wurde dort verwundet und verlor sein Gedächtnis. Der Arzt berichtete mir von der Mutter dieses Mannes, die ins Krankenhaus kam, sich vor dem Mann hinkniete, weinte und seine Hände küsste, aber er schaute sie mit einem leeren Blick an, wie er einen Fremden anschauen würde. Er fragte den Arzt: Warum wollen Sie, dass ich meine Erinnerungen zurückbekomme? Was ist, wenn ich ein schlechter Mensch war? Was ist, wenn ich mich nicht an die Vergangenheit erinnern will?
Nach ein paar Tagen verschwand der Mann aus dem Krankenhaus. Danach kehrte er zu seiner Armeeeinheit in den Donbass zurück. Diese Geschichte war eine der Quellen, die mich für die Handlung von Amadoka inspiriert haben. --Sofia Andruchowytsch
  • This book was bound by my grandmother who worked in a printing company after the Second World War. Although she only had a few years of schooling, she always read, and she loved Marija Jurić Zagorka the most. Zagorka was the first Croatian female journalist, but since her male colleagues never recognized her as an equal, she wrote historical romantic novels that would be published in daily newspapers. My grandmother would bind all these sequels into one book. This is one of those books. This book connects two women who did not have access to literature, but now they had the opportunity to symbolically enter it. --Ivana Sajko
  • „Das ist ein echtes Souvenir, ein Herz, auf dem Zagreb steht, das sogenannte Licitar-Herz, ein Lebkuchenherz. Ich bin da vom Klischee ausgegangen. Das ist so ein typisches Souvenir aus Zagreb, das gibt es mit dem Wort „Zagreb“ aber auch mit Namen aus anderen Orten. Und auch wenn das Objekt auf den ersten Blick kitschig sein mag, hat es eine persönliche Geschichte und ist mit dem Buch verbunden: Meine Mutter schenkt uns diese Herzen immer wieder und total gerne; das Herz ist etwas, das mich ganz fest an Familie bindet, denn sie lässt es dann auch mit unserem Namen schreiben. Jedes Jahr bekomme ich so ein Herz, ich habe das jetzt auch aus Zürich geschickt bekommen, ich habe so eine Sammlung von diesen Herzen, die mich dann immer ganz konkret an meine Mutter erinnern.“ --Ivna Žic
  •  „Als ich klein war, haben wir in einem kleinen Haus gelebt, ringsherum nur Felder, und vor dem Haus stand ein Kastanienbaum. Und dann haben sie, als ich zehn war, das Haus niedergerissen, weil sie dort ein großes Wohngebäude bauen wollten, und dann sind wir in diesen Wohnblock gezogen, der dort gebaut wurde. Ein Jahr später brach der Krieg in Jugoslawien aus und ohne mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, habe ich das Land gewechselt, bin vom Dorf in eine Stadt gezogen und vom Kommunismus zum Kapitalismus gegangen. Meine Umgebung, die politischen Regime und sogar das Land haben gewechselt, obwohl die Koordinaten gleichgeblieben sind. Und ich musste mich immer ans Neue gewöhnen. Das Neue war zuerst fremd und dann heimisch, es war für mich, als ob ich ganz, ganz weit weggereist wäre. Mein Souvenir ist nun eine Pfeife aus einem Ast eines Kastanienbaums. Mein Großvater hat mir jeden Frühling aus einem Ast eine Pfeife gemacht, wenn er zu Besuch kam. Die Pfeife ließ sich nur eine kurze Zeit machen, nur wenn die Äste frisch und saftig waren. Obwohl die Pfeife nur einen Ton von sich gab, mochte ich sie. Wenn sie austrocknete, pfiff sie nicht mehr. Ich schätze das an meiner Kindheit, dass ein Ton nicht langweilig war. Und dass man Dinge dann im nächsten Frühjahr wieder bekam. Und ich habe heute in der Früh diese Pfeife nachgebaut, und als ich sie testen wollte – also ich bin den Anweisungen meines Großvaters genau gefolgt, und ich dachte, ich habe mir alles gut gemerkt –, dachte ich dann, ich habe was falsch gemacht, die Pfeife funktioniert nicht. Aber mein Hund ist ganz erfreut angelaufen gekommen! Also Hunde können sie hören!“  --Ana Marwan
  • Leider konnte ich nichts von zu Hause mitbringen, da ich lange nicht dort war. Doch dank der Fotographie habe ich eine belarussische Wolke mitgebracht, die meine Mutter vom Balkon aus fotografiert hat. Wolken haben dieselben Mechanismen wie Erinnerungen, denn einen Moment sind sie so und dann transformieren sie sich. Wir haben auch unterschiedliche Erinnerungstypen, manchmal haben wir sogar falsche Erinnerungen. Nicht alles, an das wir uns aus der Kindheit erinnern, ist aus unseren eigenen Erinnerungen. Vieles sind Geschichten, die uns erzählt wurden und wir einfach glauben müssen. Aber wie viel können wir glauben? Wie gut können diese Personen sich erinnern? Und die Geschichten sind bereits durch deren Gesichtspunkt geprägt. Die Wolke als dieses hoch transformative Ding repräsentiert so auch unsere Erinnerung, oder was diese sein kann. Ausserdem ist die Wolke ein sehr nomadisches Ding, das man nicht anfassen kann, sehr flüchtig ist und uns doch viel bringen kann: Schatten, Regen, Schnee.
Als letztes möchte ich darauf hinweisen, dass wir im Belarussischen zwei Begriffe für ‘Wolke’ haben: eines meint die helle, weisse Wolke und das andere die dunkle, die definitiv Regen bringen wird.

 --Volha Hapeyeva
  • Ich habe tatsächlich ein paar Schuhe mitgebracht: meine Hochzeitsschuhe. In den Balkan Staaten ist die Frau immer noch eher eine mystische Figur als eine reale Person. Gerade in Serbien und Bosnien überwiegt dieser Mythos der Braut: man wird entweder die Braut eines Mannes oder diejenige von Christus. Und dies zu so einem Ausmass, dass junge, nicht verheiratete Frauen in Hochzeitskleidern begraben werden. Es gibt nur eine Geschichte und sie endet immer in einer Hochzeit. Niemand spricht darüber, was nach der Hochzeit kommt.
Meine eigene Hochzeit war eine sehr kleine Angelegenheit und ich entschied mich rote Schuhe zu tragen. Meine Mutter meinte, das würde Unglück bringen, weil sie nicht weiss seien, was die Unschuld der Braut repräsentiert. Ich habe mich trotzdem entschieden rote Schuhe zu tragen. Ich mochte auch die Idee von Dorothy aus «The Wizard of Oz» und dachte, wenn ich mich umentscheide, kann ich einfach die Fersen zusammenklicken und werde wegtransportiert. Ich habe es versucht, es hat nicht funktioniert. Und dann kam die freundschaftliche Scheidung, die mir zeigte, wie sehr ich den Mythos der balkanischen Frau internalisiert hatte, obwohl ich mich selbst als moderne, freie Feministin sehe. Ich hatte nach der Hochzeit gedacht «Jetzt bin ich am Ende der Geschichte, nun habe ich das Videospiel beendet», was lächerlich war. Das zweite Mal als ich die Schuhe trug, war ich bereits geschieden und in einer anderen Stadt als eine komplett andere Frau. Ich habe sie also auch getragen, als ich gegangen bin.
 --Lana Bastašić
  • Auf belarussisch nennt man mich «Zigaretten-Stummel» oder «verbrannter Baumstamm». Denn in beiden Familienlinien komme ich aus einem Dorf, das im Februar 1933 niedergebrannt wurde in der «Special Operation Harvest-Festival». Ich hasse diesen Ausdruck «Special Operation» da unter dem Namen 10'000 Dörfer vernichtet wurden. Viele alte belarussische Feministinnen wurden aufgehalten, als die Nazis alles verbrannten, von den Babys zu den Ältesten, mitsamt ihren Häusern. Ich sollte heute nicht existieren, aber es hat sich so zugetragen, dass meine Grossmutter aus einer brennenden Scheune kroch und sich in eine Pfütze legte, die sich durch den schmelzenden Schnee gebildet hatte. Sie lag dort für mehrere Stunden und stellte sich Tod, während sie den Strafenden und den nicht ganz verbrannten Menschen zuhörte. Nach dieser Nacht bekam sie nicht mal eine Erkältung, obwohl es Ende Februar war. Deshalb nennt man uns Nachkommen die «Zigaretten-Stummel» oder «verbrannten Baumstämme».
Diese Ikone, das ich mitgebracht habe, hat diese Operation ebenfalls in einer Pfütze überlebt. Niemand weiss, wie es in dieser Pfütze gelandet ist. Nun ist es das einzige Vermächtnis meiner Familie, dass älter ist als der Zweite Weltkrieg. Für mich bedeutet dieses Bild, dass ich nicht zu viele Dinge brauche: ich habe nur einen Sohn, nur eine Katze, nur einen Gott und nur ein Zuhause. Als ich von Belarus nach Polen ging, gab mir meine Mutter diese Ikone, was mich sehr glücklich machte. Denn seit meiner Kindheit habe ich mich daran gewöhnt unter dem Licht dieser grossen, schönen und ruhigen Augen, ich nenne sie göttliche Augen, aufzuwachen. Auf der Ikone ist etwas geschrieben: «Kommt zu mir, alle, die ihr am Ende seid, abgearbeitet und mutlos: ich will euch Erholung und neue Kraft schenken.» (Matthäus, 11:28)
 --Eva Vieznaviec
  • Mein Souvenir besteht eigentlich aus zwei Teilen. Eine zu etwa zweidrittel abgebrannte Kerze, die habe ich vor ein paar Jahren zum Geburtstag bekommen. Ich habe sie ganz wenig genutzt, aber in diesem Winter haben wir neben Generatoren und Powerstations eben Kerzen verstärkt gebraucht. Fast immer bleibt ein größerer oder kleinerer Kerzenstummel übrig. Und diese werden in der Ukraine nicht etwa weggeworfen, sondern für etwas ganz Anderes verwendet: Denn das hier ist auch eine Kerze – aber für die Schützengräben. Diese Kerzen werden von Frauen gemacht, in Teams oder auch selbständig. Diese hier wurde von der Gattin unseres Leiters der Abteilung Rechnungswesen hergestellt. Er wurde vor ca. genau einem Monat mobilisiert, ist nicht direkt als Soldat im Einsatz, aber in einer Militärbehörde tätig.  --Oxana Matiychuk
  • Für diese Kerzen benötigt man kleine oder auch große Metalldosen z.B. von Tierfutter, die werden dann durchgeschnitten. Und man benötigt eben Pappe und Reste von Paraffin oder Wachskerzen. Diese werden flüssiggemacht, die dünnen Streifen dann gefaltet und das flüssige Wachs in die Dose gegossen. Eine Kerze dieser Größe brennt vier bis acht Stunden, größere brennen bis zu zwölf Stunden. Diese Kerzen geben viel mehr Licht und Wärme, und man kann sich z.B. über diesen Kerzen auch etwas warm machen. Und man hat in Schützengräben, wo normalerweise gar keine Sonne hineinscheint, auf diese Weise auch ein bisschen Licht. Ich hoffe, dass diese Souvenire bald der Vergangenheit angehören, aber zurzeit ist es so, dass wir noch ganz viele machen müssen. --Oxana Matiychuk
  • Meine Arbeit sind tatsächlich die Texte, also hab‘ ich als Souvenir auch einen Text mitgebracht. Ich habe das Kinderbuch „Als der Krieg nach Rondo kam“ mitgebracht. Einerseits zeigt es, dass wir in unserem Innersten den Kindern eigentlich den Krieg ersparen wollen. Und in jedem von uns ist diese Angst vor der Gewalt mit drin, wie sie ein Kind empfindet. Und trotzdem ist unsere Welt so, dass wir den Kindern den Krieg erklären müssen. Ich übersetze in der Regel allein, aber das Buch habe ich zusammen mit Oksana Semenets übersetzt, eine Frau aus Kiew, die in den ersten Kriegstagen geflohen ist, eine Freundin von mir, wir haben das zusammen übersetzt, weil es mir wichtig war, dass sie nicht nur hier in Deutschland ankommt und einen Platz findet, sondern dass sie auch selbst aktiv werden kann. Und das Buch ist auch deshalb für mich so wichtig, weil es ein Stück weit den Weg aufzeigt, den einen Teil meiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Verlagswesen in der Zeit gegangen sind; also es ist kein Geheimnis, dass die ukrainische Literatur selbst nach 2014 nicht besonders präsent war, und dass sich viele Verlage sehr schwer getan haben, ukrainische Autoren ins Programm zu nehmen. Und auch der Gerstenberg Verlag hatte Berührungsängste gegenüber diesem Buch, obwohl der Krieg in der Ukraine eben schon begonnen hatte. Jetzt haben sie’s gemacht und unterstützen auch ukrainische Autoren. Und ich wünsche mir – mein Souvenir weist eben auch in die Zukunft – dass es noch mehr Leute gibt, die diesen Weg gehen, die sagen „ok, wir haben die Dinge vielleicht falsch eingeschätzt, wir haben uns nicht so zugewendet, aber es gibt immer die Möglichkeit, Perspektiven zu ändern, aktiv zu werden, und dafür steht für mich auch dieses Buch. --Claudia Dathe
  • Das ist Kiew im Karton! Ein echtes Souvenir, keine Metapher! Und für mich ist das hier auch eine Herausforderung sprachlicher Art. Wie kann man eigene Erfahrungen ausdrücken? Wahrscheinlich nimmt man fertige Aussagen, um das Persönliche erst einmal in Ruhe zu lassen und sich Zeit zu geben. Und gleichzeitig ist ein Karton oder Schachtel auch immer ein Versteck – für das Verdrängte, das noch nicht Reflektierte. Und es ist auch für mich eine Art Selbstkritik, denn ich habe dieses Souvenir aus meiner letzten Reise nach Kiew mitgebracht. Und da ich jetzt in Berlin wohne, hatte ich die ganze Zeit die Frage im Kopf: „Als wer komme ich zurück? Ist es eine Art Kriegstourismus? Oder ist es etwas Anderes? Bin ich als Touristin in meiner eigenen Stadt? Sehe ich sie als Fremde? Wie haben sich die Menschen verändert? Das sind alles Fragen, die in diesem Karton eingefasst sind – neben der schönen Stadt Kiew, die hoffentlich auch so symbolisch geschützt wird in dieser kleinen Box. --Kateryna Mishchenko
  • In einer Tüte, die in einer weiteren Tüte steckt, wie in einer Zwiebel, ist eine Feder und ein kleines Schild zu finden, darauf steht: Souvenir. Das bedeutet Emptyness/Leere, aber nicht in seiner negativen Bedeutung, sondern ist eine Aufforderung an den einzelnen, diese Leere für sich zu füllen.

 --Volha Hapeyeva
  • Über das Souvenir – ein Buch von Wassyl Stus
Mein Souvenir ist etwas älter. Es ist ein Buch, das ich eigentlich überall mitschleppe mit mir, seit
ich Kind bin. ]Das Buch tauchte einfach irgendwann in unserer Wohnung auf. Obwohl meine
Eltern nicht solche sind, die besonderen Wert gelegt haben auf die Bücher. Sie waren beide
Fabrikarbeiter gewesen. Irgendwoher ist das Buch gekommen, keine Ahnung. Aber ich
habe das Gefühl, das Buch war immer schon da.
Ich bin öfter in meinem Leben gereist und habe sehr oft nur mit einem Rucksack einfach den
Ort verlassen, zuerst so eine kleine westukrainische Stadt, dann nach Kiew, von Kiew nach
Wien und überall war das Buch mit dabei. Es ist ein Gedichtband von einem ukrainischem
Dichter, meinem Lieblingsdichter: Wassyl Stus. Er ist 1985 im russischen, sowjetischen Lager
gestorben, als ich drei Jahre alt war.
Das habe ich erst später verstanden, dass er noch lebte, als ich geboren wurde, und das war
schon die Zeit des Glasnost in der Sowjetunion[1], und trotzdem starben, auch als Gorbatschow
schon an der Macht war, zu dieser Zeit starben ukrainische Dissidenten immer noch im Lager.
Und er hat insgesamt für seine Dichtung 18 Jahre Haft bekommen und starb unter unbekannten
Umständen in einem Lager, das für besonders böswillige Wiederholungstäter gemacht wurde.
Das heißt, das waren nur so 30 oder 40 Gefangene, und jeder hatte einen Aufseher. Also eins zu
eins. So gefährlich waren die ukrainischen Dichter in der Sowjetzeit.
Als Kind kannte ich natürlich diese Geschichte nicht. Ich habe das Buch immer ein bisschen wie
die Bibel wahrgenommen, weil Stus extrem schwierig geschrieben hat. Er hat absichtlich seine
Sprache sehr erschwert mit alten schönen ukrainischen Wörtern, und als Kind habe ich die
Hälfte des Gedichtes nicht verstanden und nahm das als etwas eher Sakrales, ein Gebet
eigentlich, wahr. Und in dieser Ausgabe gibt es auch so Auszüge aus seinen Briefen, die er an
seine Frau geschrieben hat und er hat in diesen Briefen immer nach einer Tanja gefragt: Und
wie geht es der kleinen Tanja? Und ich dachte immer, dass er nach mir fragt. Das war meine
kindliche Vorstellung.
Er hat dann seinem Sohn immer erzählt, wie man ein ehrlicher, richtiger Mensch wird in dieser
Welt. Er war ein extrem würdevoller Mensch, kompromisslos, deshalb hat er ja auch 18 Jahre
bekommen. Er hat auch Briefe nach Moskau geschrieben, bereits aus der Haft, dass er seine
Staatsbürgerschaft abgeben möchte, das war ungefähr 1977. Abgeben wollte er sie, weil ein
sowjetischer Bürger zu sein heiße, ein Sklave zu sein. Das hat er in diesen Briefen geschrieben,
obwohl es extrem gefährlich war. Es war schon klar, dass er geht; also: dass sein Ende bald
kommt.
Ich habe diese Texte immer geliebt. Ich kenne sehr viele auswendig, weil ich in schwierigen
Momenten meines Lebens immer wieder das Buch aufgeschlagen habe. Das Buch ist ziemlich
schwer, muss ich sagen, und überallhin habe ich das mitgeschleppt.
Er ist natürlich nicht ins Deutsche übersetzt, wie viele anderen ukrainischen Autoren. Keine
klassische ukrainische Literatur ist ins Deutsche übersetzt, nichts. Aber vielleicht schaffe ich das
mit einer Übersetzerin, dass endlich auch etwas von Stus kommt.
 --Tanja Maljartschuk
  • Ich habe den Spitznamen „Schwalbe“ - Schwalbe von Prag, und das ist eine lange Geschichte, nicht nur mit diesem Buch „Stunden aus Blei“ (Hoffmann und Campe 2022) verbunden, das ich aus der Schwalbenperspektive geschrieben habe. Aus der Perspektive literarisch stilisierter Schwalben allerdings, die absolut nicht verstehen, was wir mit der Erdkugel gemacht haben. Und diese ornithologisch nicht verbrieften Schwalben existieren: ohne Nationalitäten, ohne Grenzen, ohne Glauben, ohne verschiedene Geschlechter. Und weil sie so sind, verstehen diese Schwalben absolut nicht, was wir Menschen hier unten machen. Und seit Jahren habe ich diesen Spitznamen und bekomme immer zu Weihnachten und Geburtstagen alles mit Schwalben. Also: Nach meinem Tod kann ein Museum mit Schwalbenmotiven entstehen. Und ich habe deshalb diese zwei Geschenke mitgebracht, die eben auch mit meiner Herkunft zu tun haben. --Radka Denemarková
  • Ich wurde in der Zeit des Prager Frühlings geboren – Schwalben als Symbol des Frühlings, wissen Sie? Ich bin froh, dass ich dadurch die Zeit vor 1989 gelebt habe, weil ich so auch eine Art von Totalitarismus erlebt habe. 
Was bedeutet Totalitarismus im Alltag? Es ist manchmal sehr, sehr schwierig zu erklären, und wir haben heute neue Formen von Autoritätssystemen. Deshalb hat die Recherche in China lange gedauert. Dort begegnen sich das Schlimmste vom Kommunismus und das Schlimmste vom Kapitalismus; das hat sich sozusagen geküsst, und das funktioniert wirtschaftlich sehr, sehr gut und wird deshalb in der Welt bewundert. Aber wie das funktioniert, so eine Form von Totalitarismus wie in China heute, das kann nur die Literatur zeigen aus allen Perspektiven. Wir können die politische, gesellschaftliche Ebene zeigen, aber für mich ist immer auch die intime, persönliche Ebene wichtig: Was das bedeutet für konkrete Menschen in diesen Systemen, in diesen Zeiten zu leben, es zu verstehen oder nicht verstehen, es zu überleben und warum diese Modellsituationen sich immer wieder, immer wieder wiederholen.“
 --Radka Denemarková
  •  --
  • This is a bookmark from "Gay's the Word", an LGBTQ+ bookshop in London running since 1979. On the occasion of the booklaunch event of the English edition of "Maerchenland" (A Fairytale for Everyone), this was one of the three bookshops we visited, to sign books. I got my first master degree in English language and literature in the 1990s, and I never even dreamed about going to an English bookshop not to buy books but to sign them! This bookmark serves as a memory of that miraculous occasion and as a reminder that Fairyland belongs to everyone, indeed.
 --Dorottya Rédai
  • Als Kind wünschte ich mir sehnlichst ein My Little Pony, wie es all meine Freundinnen hatten, aber meine Eltern sagten, ein Junge dürfe mit so etwas nicht spielen. Diese Entdeckung führte dazu, dass ich begann, mich mit der internalisierten Homophobie zu vergiften, mich für meine sogenannten femininen Eigenschaften zu schämen und schließlich, meinen Platz unter mir ähnlichen, als „komisch” beurteilten Menschen zu suchen. Aber vorerst noch nicht in meinem Umfeld, sondern nur in Büchern. --Boldizsár Nagy
  • Da unten, dieser kleine Mensch – das bin ich. Und mein Vater ist hier in Diplomatenuniform zu sehen. Ich bin ungefähr drei, mein Vater etwa dreißig Jahre alt. Mein Vater war der persönliche Dolmetscher Stalins, aus dem Französischen und ins Französische. Er hatte also eine große Nähe zum Diktator. Und außerdem war er persönlicher Assistent von Molotow. Aus einer solchen Familie kam ich. Meine Mutter war diejenige in unserer Familie in die mich inspirierte, die mir die Liebe zur Kultur und Literatur mitgab. Man sieht schon, dass ich ein kleiner Schriftsteller bin. Ich schaue in die Welt hinaus, so als würde ich mir gerade etwas ausdenken. Aber bitte schauen Sie sich die Fotografie selber an. --Viktor Jerofejew
  • Meine Kindheit war voller Devotionalien, und ich möchte nur an eine erinnern: den Lippenstift meiner Mutter. Es ging ja nicht nur um Erotik, Maskerade, das Phallussymbol oder die Ästhetik und Schönheit. Ich dachte immer, der Lippenstift steht für Hoffnung, Aufbruch und ist die beste Waffe gegen den korrupten sozialistischen Staat und die Tristesse der Kirche, den Tod. Ich schminkte mir die Lippen als Kind und konnte so geschminkt aus diesem absurden Theater der Erwachsenen ausbrechen. Auf meiner roten Rakete. Später schrieb ich auch einen Roman darüber: der Lippenstift meiner Mutter. --Artur Becker
  • Olga Tokarczuk: „Ich habe ein Stück Kristall mitgebracht, aus Kalkgestein. Kristalle sind ein merkwürdiges Gemisch aus anorganischer Materie mit einer dichten, sehr spezifischen Struktur. In diesem kleinen Stück Materie finden wir eine bestimmte Ordnung, die den Naturgesetzen folgt. Vielleicht erinnern Sie sich noch an ein Experiment aus dem Chemieunterricht: Die Lehrerin bat uns, in einem Glas eine sehr dichte Kochsalzlösung herzustellen, abends einen Faden darin zu hängen und das über Nacht stehen zu lassen. In der Früh sah man, wie das Salz kristallisierte: Der Faden diente als Träger, um die im Wasser aufgelösten Salzkristalle zu bündeln. Dieses Bild dient mir als die Metapher des Schreibprozesses: Wir leben in einer Welt, die voller Erfahrungen, Informationen und chaotischer Elemente ist, und wir versuchen, in diesen unklaren, aufgelösten Strukturen eine Ordnung zu finden. Literatur fungiert wie der Faden, dem verschiedene Inhalte, Bedeutungen und Vorstellungen anhaften - und dadurch eine anschauliche Form erhalten. Und so entstehen derart wunderliche und schöne Gebilde wie dieser Kristall.“
Olga Mannheimer: „Dieser Kristall steht in Verbindung mit dem Roman „Die Jakobsbücher“, der um die historische Figur Jakob Frank aufgebaut ist. Ebenso wichtig wie der Titelheld in diesem beziehungs- und figurenreichen Werk ist Jakobs Großmutter namens Jenta.“
Olga Tokarczuk: „Am Anfang war das eine Randfigur, bis ich eines Tages festgestellt habe, dass ich Schwierigkeiten haben, einen Stoff zu bewältigen, der sich mit einigen Dutzend Figuren über 50 Jahre erstreckt. Als ich ein Drittel des Buches fertig gestellt hatte, wurde mir klar, dass ich es nicht schaffe, die Geschichte aus der Perspektive eines Erzählers zu schildern, dass ich einen anderen Standpunkt brauche, quasi eine panoptische Sicht – eine Perspektive, die das gesamte Geschehen überblickt und die es zugleich erlaubt, ganz nah an die Figuren heranzutreten. Jenta, die Großmutter von Jakob, verfügt über diese Perspektive. Das besondere dieser Figur ist, dass sie nicht sterben kann. In Folge eines kabbalistischen Zaubers ist sie auf der Schwelle zwischen Leben und Tod gefangen. Es geschah am Vortag einer großen Hochzeit: Jenta ist sehr alt, von der Reise ermüdet, es besteht die Gefahr, die sehr aufwändig vorbereitete Hochzeit absagen zu müssen, wenn sie stirbt. Wie im Golem-Mythos bittet die Familie einen Rabbiner, ihren Tod mit Hilfe eines Amuletts hinauszuzögern. Deshalb steckt er Jenta einen Zettel in den Mund, auf dem das hebräische Wort „warte“ steht. Und Jenta schluckt diesen Zettel. Fortan schwebt sie zwischen Leben und Tod und sieht die Dinge aus einer anderen Dimension. Die Familie weiß nicht, was sie mit dieser Greisin tun soll, und bringt sie schließlich in eine Höhle, eine Art Ruhestätte. Diese Höhle gibt es wirklich in der Nähe von Jakob Franks galizischen Geburtsort namens Korolówka – seinerzeit lag es in Polen, heute in der Ukraine – und sie gehört zu den größten kalkgesteinigen Höhlen der Welt.  Während der nationalsozialistischen Besatzung haben in dieser Höhle viele Juden überlebt. Davon ist im letzten Unterkapitel der ‘Jakobsbücher‘ die Rede.“ 
Auszug aus „Die Jakobsbücher“: „Dort, von wo Jenta schaut, gibt es keine Kalenderdaten, somit nichts zu feiern, nichts, was man sich zu Herzen nehmen müsste. Das einzige Zeichen verstreichender Zeit sind die huschenden Schatten, undeutlich, in Umrissen nur, vereinfacht zu einer Handvoll Eigenschaften, nicht zu halten, nicht zu fassen, unfähig, sich zu äußern. Dafür geduldig. Das sind die Verstorbenen. Jenta hat angefangen, sie zu zählen. Auch wenn die Menschen ihre Anwesenheit nicht mehr spüren und kein Zeichen mehr von ihnen die hiesige Welt erreicht, durchleben sie noch immer ihr Fegefeuer der Erinnerung. Jenseits aller menschlichen Dienstgeschäfte steht ihnen kein eigener Ort mehr zu, nichts mehr, woran sie sich knüpfen könnten. Um die Lebenden kümmern sich selbst die Knauser, für die Verstorbenen aber sorgen nicht einmal die Freigebigsten. Jenta bringt ihnen eine Art Zärtlichkeit entgegen, wenn sie an ihr, die an der Grenze verharren muss, vorüberstreifen gleich einer milden Brise. Für einen Augenblick tritt sie in Verbindung mit ihnen, schenkt ihnen ein Quäntchen Zuwendung – den Gestalten, denen sie in ihrem Leben begegnet ist und die der Tod nun in den Hintergrund verbannt hat. Wie die Veteranen in Tschenstochau sind die Schatten. Vergessen vom König, vergessen vom Heer, betteln sie um ein Almosen Aufmerksamkeit.
Wenn Jenta sich je zu einer Religion bekannte, so ist, nach all den Gedankengebäuden, die ihre Vorfahren errichteten und an denen ihre Zeitgenossen weiterhin werkeln und zimmern, die Religion der Verstorbenen ihr jetziger Glaube. All die von Sehnsucht getragenen, unvollkommenen, all die gescheiterten Versuche einer Verbesserung der Welt.
Zum Ende dieser Geschichte, da Jentas Körper bereits in reinen Kristall sich verwandelt hat, entdeckt sie eine gänzlich neue Fähigkeit: Sie ist nicht mehr nur eine Zeugin, die beobachtet, nicht allein ein Auge, wandernd durch Räume und Zeiten – sie vermag auch durch den menschlichen Körper zu strömen, durch Frauen und Männer und Kinder. Dann beschleunigt sich die Zeit, alles geschieht in der Spanne eines Wimpernschlags. Und einmal mehr wird deutlich, dass diese Körper wie Blätter sind, in denen das Licht einzig für eine Jahreszeit, für wenige Monate nur wohnt. Dann sinken sie trocken und tot zur Erde, die Dunkelheit zermahlt sie zu Staub. Jenta möchte es mit ihrem Blick erfassen, möchte sehen, wie das eine zum anderen wird – getrieben von der Unrast der Seelen, die ihrer nächsten Inkarnation entgegenstreben. Doch dies vermag selbst Jenta nicht zu erfassen. Frejna, die Schwester Pesseles, verlebte ein glückliches Alter in Korolówka. Hier wurde sie geboren, hier wurde sie bestattet, auf dem jüdischen Friedhof am Hang, der zum Fluss hin abfällt. Mit ihrer Schwester stand sie nicht mehr in Verbindung; so sehr war sie damit beschäftigt, zwölf Kinder großzuziehen, dass sie Pessele schließlich ganz vergaß. Im Übrigen bewahrte ihr Mann, einaufrechter Jude, die größte Verschwiegenheit über alles, was die häretische Verwandtschaft seiner Frau betraf. Ihre Nachfahren wohnten noch in Korolówka, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Die Erinnerung an die Höhle in Gestalt des Buchstabens Aleph und die geheimnisvolle Babcia war noch lebendig, vor allem unter den älteren Frauen, die mitunter Dinge im Gedächtnis behalten, die niemandem von Nutzen scheinen, helfen derlei Wunderlichkeiten doch weder, Brot zu backen, noch ein Haus zu bauen. Eine der Nachkommen Frejnas war es, die älteste Tochter – Czarna wurde sie gerufen –, die sich weigerte, nach Borszczów zu gehen, um sich dort, wie die Deutschen es befohlen hatten, registrieren zu lassen. Sie misstraute jedem Wort der Macht. Und als dann alle anderen Juden aus Korolówka mit ihren Bündeln nach Borszczów auf den Weg sich machten, stahl sich eine kleine Gruppe, ein paar Habseligkeiten auf Handkarren gepackt, in den Wald.
Das war am 12. Oktober 1942. Fünf Familien, 38 Personen. Das jüngste Kind war fünf Monate, der älteste Mann 79 Jahre alt. Kurz vor Tagesanbruch verschwanden sie in der Höhle, von der Seite des Waldes her, dort, wo der Buchstabe Aleph seinen rechten Bogenstrich hat. Einige der Höhlenräume sind voller Kristalle, die aus den Wänden und von der Decke wachsen. Es heißt, sie seien geronnene Tropfen aus Licht, die aufgehört hätten zu leuchten, so tief in der Erde. Doch trifft sie der Schein einer Kerze, strahlen sie auf, zeigen ihr ewiges, schweigendes Inneres. In einer der Grotten liegt noch immer Jenta. Die Feuchtigkeit überzieht ihre Haut, die nun gänzlich an den Knochen anliegt, selbst kristallene Strukturen angenommen hat, glitzernd, irisierend. In den ganzen Körper wächst der Glanz hinein, lässt ihn fast durchsichtig werden. Und immer weiter schreitet die Verwandlung voran. In einigen Millionen Jahren ist Jenta ein Diamant. Die längliche rosenfarbene Kristallform, mit dem Fels verwachsen und funkelnd im Schein der sparsam genutzten Öllämpchen, hat ein schlieriges Inneres. Die Kinder, vertraut mit der Höhle, die sie schon erkundet haben, behaupten, dass das rosenfarbene Gebilde lebendig sei, und wenn es gelänge, sein Inneres genauer auszuleuchten, könne man ein menschliches Gesicht erkennen. Die Erwachsenen schenken solchen Geschichten natürlich keinen Glauben; zumal die eineinhalb Jahre, die sie nun schon in der Dunkelheit verbringen, dem Augenlicht der Kinder sehr geschadet haben. Die Erwachsenen verlassen von Zeit zu Zeit die Höhle, um Lebensmittel zu besorgen, doch bleiben sie in einem eng begrenzten Gebiet, suchen nur die Dörfer der nächsten Umgebung auf. Den Bauern sind sie wie Geister, denen sie, scheinbar zufällig, Säcke mit Mehl und Kohl hinter den Scheunen lassen. Im April 1944 wirft jemand eine Flasche mit einem Zettel durch einen Spalt in der Erde, der in die Höhle führt. In ungelenker Handschrift steht es zu lesen: »Die Deutschen sind weg.« Geblendet kommen sie heraus, schützen die Augen vor dem gleißenden Licht. Alle, die sich in der Höhle versteckt gehalten haben, überleben; die meisten von ihnen wandern in den schlimmen Nachkriegsjahren nach Kanada aus, wo sie ihre Geschichte erzählen. So unfasslich erscheint sie, dass kaum jemand sie glauben will. 
Jenta sieht den weichen Waldboden, die kleinen Kügelchen der Heidelbeeren, die hellen Blättchen junger Eichen am Eingang der Höhle, sie sieht den Hügel, das Dorf, den Weg, über den die Fahrzeuge eilen. Sie sieht den Dnjestr blinken wie die Schneide eines Messers, sieht andere Flüsse mit ihrem Wasser, das zum Meer hinströmt. Und Jenta sieht die Meere, die so schwer zu tragen haben an den Schiffen, voll beladen mit jeglichen Waren, und die Leuchttürme sieht sie mit ihren Botschaften der blinkenden Fünkchen Licht. Einen Augenblick lang verharrt sie in der Bewegung. Hat jemand sie gerufen? Wer weiß denn noch ihren Namen? Da bemerkt sie eine Gestalt, dort unten auf der Erde, das Gesicht ist erhellt von einem leuchtenden Schein. Eine eigenwillige Frisur, ein wenig seltsam gekleidet, doch seit Langem schon kann Jenta sich über nichts mehr wundern. Diese Eigenschaft ist ihr abhandengekommen. Sie schaut nur, wie die Gestalt mit den Bewegungen ihrer Finger in dem hellen Fleck Buchstaben entstehen lässt, wie aus dem Nichts tauchen sie auf, fügen sich zu regelmäßigen Reihen. Jenta erinnert es an Spuren im Schnee, die Fähigkeit zu lesen haben die Verstorbenen verloren.Eine der betrüblichsten Folgen des Todes. So kann die arme Jenta ihren eigenen Namen nicht mehr erkennen in dem JENTA JENTA JENTA, das auf dem Bildschirm erscheint. Sie verliert das Interesse und entschwindet in der Höhe.“
Olga Tokarczuk: „Bücher sind mächtiger als ihre Autoren. Ich bin selbst eine Figur in dem Buch geworden, es hat mich in gewisser Weise eingeschlossen und ist über mich hinausgewachsen. Die Figur Jenta tritt über den Erzählrahmen des Romans hinaus, sie überblickt nicht nur das Geschehen, sondern sieht auch die Schriftstellerin, die das Buch schreibt und möglicherweise sogar die Leser. Nach der Veröffentlichung der „Jakobsbücher“ in Polen ist bei einer Lesung ein junges Paar aus Krakau an mich herangetreten, Ukrainer, die in der Gegend von Korolówka gewohnt haben, also da, wo Jakob Frank herkommt. Sie kannten mein Buch und habe darin diese Höhle erkannt. Sie sind dorthin gegangen, haben in der Höhle ein Stück von dem Kristall abgebrochen und es mir geschenkt. Möglicherweise ist das hier ein Stück von Jenta. Da wir von Erinnerungsstücken sprechen und als Zeichen der besonderen Beziehung, die mich mit dem Stuttgarter Literaturhaus verbindet, möchte ich Ihnen, Stefanie Stegmann, dieses für mich sehr wertvolle Souvenir schenken.“
Olga Mannheimer: „Ich habe vorher gesehen, wie Olga Tokarczuk das Kristall geteilt hat und Sie bekommen sogar das größere Stück von dem, was vielleicht Jenta ist! Meine Damen und Herren, indem dieses Kristallstück in die Souvenirreihe aufgenommen worden ist, können Sie in eine ungewöhnlich greifbare Verbindung zu dieser Romanfigur treten. Und sollten Sie je nach von Korolówka kommen, können Sie diese Höhle besuchen und vielleicht wird Jenta mit Ihnen durch die Welt wandern.“
Olga Tokarczuk: „Leider herrscht zurzeit Krieg in dieser Gegend. Ein Terrorstaat hat dort unmögliche Verhältnisse geschaffen, aber ich hoffe, dass wir eines Tages wieder dorthin fahren können, dass Friede einkehrt, dass wir alle, die wir hier sind, diese Höhle besuchen können und Jenta von Angesicht zu Angesicht anschauen. Ich danke Ihnen vielmals.“


 --Olga Tokarczuk
  • Ich habe Alkohol mitgebracht, Rakija, ein Traubenbrandy oder Schnaps, wie es hier heisst. Rakija ist sehr gut, wenn man etwas dazu isst. Sonst kann er einen verrückt machen, denn es ist ein sehr starker Alkohol. In Mazedonien trinken ihn viele Menschen, weil er billig ist, oft machen sie ihn auch selbst. Besonders wenn er selbstgemacht ist, weiss man nie, wie er auf einen wirkt. Das ist unsere Medizin und eine andere Form von Medizin, die die Menschen in Mazedonien zu sich nehmen – und nicht darüber sprechen, wie meine Kurzgeschichten zeigen – sind alle möglichen Pillen. Viele Menschen, besonders Frauen, nehmen, ohne darüber zu sprechen, diese Pillen, weil in dieser Region so viel Stress und Traumata vorhanden sind. Rakija ist auch eine Medizin dafür und ich sage nicht, dass es eine gute Medizin ist. In meinen Geschichten trinken viele der Figuren Rakija und stellen dann verrückte Dinge an.  --Rumena Buzarovska
  • Es ist ein metallener Clip, um Papier zusammenzuhalten. Das ist nicht mein eigentliches Souvenir, mein eigentliches Souvenir kann ich dem Literaturhaus nicht geben, weil es ein sehr teurer Stift von Montblanc ist. Es gibt diese sehr sonderbare Geschichte mit dem Montblanc-Stift, die sich hier in Zürich abgespielt hat. Und der Clip hängt mit Zürich zusammen, weil ich ihn während meinem Schreibaufenthalt in Zug für meine Notizen gekauft habe. Zur Geschichte mit dem Montblanc-Stift: Ein Leser von mir, der aus meiner Region in Bosnien stammte und den ich noch nie getroffen hatte, wohnte in der Nähe von Zürich und kontaktierte mich häufig, da er mich treffen wollte. Mal hatte ich aber keine Zeit oder war müde, manchmal hatte er keine Zeit. Eines Tages scrollte ich durch Facebook und etwas Seltsames passierte: Ich sah den Post einer Frau, die ich nicht kannte, aber mit der ich auf Facebook befreundet war, und sie schrieb, dass sie ihren Sohn verloren hatte. Und weil ich die Nachnamen der beiden kannte, dachte ich, dass es nicht möglich sei. Denn er hatte mich kontaktiert und geschrieben, dass wir uns am nächsten Tag um ein Uhr treffen können. Als ich daran war, mich auf den Weg zu machen, wartete ich auf eine Nachricht von ihm. Aber natürlich kam diese Nachricht nie, weil er tatsächlich in der Nacht gestorben war. Ich war traurig, weil ich diese Person nie kennengelernt habe und ich kaufte ein Notizbuch und fing an, mit dem Montblanc-Stift darüber zu schreiben. --Faruk Senic
  • Mein Souvenir hat eine doppelte Geschichte. Es ist tatsächlich ein Souvenir aus Dubrovnik. Und es hat eine doppelte Geschichte, weil nicht ich es gekauft habe, sondern ein berühmter Autor aus Split. Als er starb, wurde ich vom Nachlassverwalter eingeladen und dieser sagte mir, dass ich ein Souvenir aus der Wohnung des Autors nehmen darf. Ich habe mich für dieses hier entschieden, weil es ein Souvenir von der letzten Reise des Autors nach Dubrovnik vor dem Krieg ist. Und es hat etwas Ironisches, weil dieses Motiv von tanzenden Menschen in Folk Kleidung ein Symbol für das Zusammensein der Menschen aus allen jugoslawischen Nationen war. Aber nur drei Jahre später war Dubrovnik im Krieg. Und dieses Bild hat nichts mit Dubrovnik selbst zu tun, da dort niemand diese Kleidung trägt. Das Souvenir aber erzählt eine andere Geschichte. Und es ist sehr wichtig für mich, weil es aus der Wohnung des Autors stammt und es sein Souvenir war. --Alida Bremer
  • Artem: »Da ich seit neun Monaten beim Militär bin und kaum mehr zivile Kleidung trage, drum kam ich mit meiner Armeejacke nach Deutschland. Das Abzeichen darauf, die Flagge, trage ich seit meinem ersten Einsatz und dieses Andenken haben wir Euch mitgebracht.«
Iryna: »In den Jahren des russischen Krieges ist die ukrainische Flagge mehr geworden als eine Flagge, sie ist längst ein Symbol . Sie wissen, in diesen Tagen wurde Cherson befreit und die Menschen dort hatten die Flagge versteckt, sie hatten die Flagge in Einmachgläsern eingegraben. Das beeindruckt mich. 
Die Flagge ist auch zu einem Erkennungszeichen geworden, an dem wir die Unsrigen unter Fremden erkennen. Und wenn wir jetzt durch Mittel- und Westeuropa reisen und die ukrainische Flagge auf den Straßen sehen, ist das für uns ein Zeichen, hier ist jemand, der zu uns gehört, der uns unterstützt. Und deshalb ist unser Souvenir die kleine Flagge der Ukraine, aber so klein ist sie gar nicht, sie ist ein Zeichen für die Brücken, die wir bauen.« --Artem Tschech und Iryna Tsilyk
  • ein brief ins gefängnis 

muss immer zauberformel sein 
oder gebet --Julia Cimafiejeva
  • "Unsere Verrücktheit ist leicht wie Papier. Wo andere die Bedrohung sehen, sehen wir das Wunder."

Aus: Europas Hunde, Teil 1 [Сабакі Эўропы]. Übersetzung:: Thomas Weiler

 --Alhierd Bacharevic
  • wir stritten darüber
wonach altes laub
riecht
nach melone 
oder nach gurke

entweder gurke
oder melone
mit einer zutat an
zimt
kümmel
dill
nelken
und dem rausch deiner augen

aber nicht nach pfeffer
nach pfeffer nicht

(aus der Anthologie „Der Osten leuchtet“, Dielmann Vrlag 2022. Übersetzung: Andreas Weihe)
 --Dmitri Strozew
  • "Mein Souvenir beginnt schon mit dieser Tasche: Es gibt einen Verlag in Krakau, und der Verlag heißt Austeria und beschäftigt sich ausschließlich mit altgalizischen Thematik und ästhetisiert immer noch diese Welt von Bruno Schulz; der Verlag befindet sich auch in Kasimierz, dem jüdischen Viertel in Krakau. Die Tasche dieses Verlags war eigentlich zufällig, aber da die Tasche nun dabei ist, möchte ich auch das erzählen." --Juri Andruchowytsch
  • "Mein eigentliches Souvenir ist diese einfache CD, die ich selbst gebrannt habe. Wie Schnaps kann man auch eine CD brennen. Im Roman finden Sie den QR Code, und wenn Sie diesen Code scannen, bekommen Sie Zugang zu Rotskys Playlist, also alle 15 Musikstücke, die er hier erwähnt und zu diesen Stücken erzählt er seine Geschichten. Als ich den Roman beendete, hatte ich die Playlist fertig, aber war mir unsicher über ein paar fakultative Stücke, ich dachte noch an andere Einspielungen. Diese CD ist also authentisch, einzigartig. Um das besser zu hören, hab ich die Liste auf diese CD kopiert und hörte in bester Tonqualität alles noch einmal von meinem Gerät. Ich habe das nicht kopiert, das ist mein einziges Exemplar. Für mich ist diese CD einzigartig, weil ich hier zum Beispiel eine der Versionen habe der Band ARCHIVE und ich mag ihr Lied, das FUCK YOU heißt. Und diese Version hier kommt von ARCHIVE unplugged, es ist eine rein akustische Version, also mit Klavier, nur Klavier. Aus irgendeinem Grund wollte ich unbedingt diese Version auf meiner Playlist, aber wenn Sie das auf YouTube suchen, wird diese Version immer rausgeschmissen, also aus diesem Grund ist diese CD ziemlich viel wert."  --Juri Andruchowytsch
  • "Ich habe einen Ring mit Anker mitgebracht, denn in Polen erscheint heute mein neuster Roman „Chołod“; es ist für mich also ein besonderer Tag, wie der Tag der Geburt eines neuen Kindes, und deshalb auch hier der Ring mit einem Anker, denn ich liebe das Segeln, ich liebe das Meer, und das ist hier dargestellt. Und das neue Buch handelt vom Meer, von der Arktis – dieser Ring verkörpert das." --Szczepan Twardoch
  • "Ich zeige zuerst die Tasche und in dieser Tasche befindet sich das Souvenir. Die Tasche ist auch schon interessant, darauf sind die hebräischen Buchstaben. Diese Taschen gehören dem Verlag Austeria aus Kraków. Der Verlag beschäftigt sich mit der alten galizischen Kultur." --Juri Andruchowytsch
  • "Und was habe ich jetzt in der Tasche, das ist das eigentliche Souvenir. Das ist eine CD von mir und der Band »Karbido« aus der polnischen Stadt Wrocław. Unsere jüngste CD bis heute, sie wurde 2018 herausgegeben und sie heißt »Lithografien«. Das sind sieben Gedichte, die als Songs hier vorgestellt werden. Alle Gedichte kommen eigentlich aus dem alten Galizien, aus meiner Heimatstadt, in der ich auch heute wohne. Die Stadt heißt Iwano-Frankiwsk und hieß damals auf Deutsch Stanislau. Dieser Zyklus aus Gedichten hat den vollen Titel »Die Lithografien aus dem alten Stanislau«. Das alles ist auf Ukrainisch, aber unser Bassist Marek Otwinowski, der nicht nur Musiker ist, sondern auch eine literarische Begabung hat, hat diese sieben Gedichte ins Polnische übersetzt. Als ein zusätzliches Souvenir zu dieser CD gibt es sieben Karten. Auf jeder Karte ist ein Text, ein Gedicht, nur auf Polnisch. Das ist dieses Souvenir, das in sich Literatur und Musik verbindet und das ist, was auch der Roman »Radio Nacht« verbindet. Und dazu kann ich noch sagen, diese Werke kann man sehr gut in einem Nacht-Radio abspielen, dort klingen sie gut. Es ist besser, sie in der Zeit der Nacht zu hören, als am Tag. Manchmal sind die Lieder laut, aber das soll ein Radio sein für die, die sowieso nie schlafen können." --Juri Andruchowytsch
  • Ich habe drei Geschichten mitgebracht; man könnte zwar Hunderte Geschichten mit Gegenständen verbinden und erzählen, aber nicht alles kann man derzeit über die Grenze mitnehmen. Mit diesem Ding hier entsichert man eine Granate. Sascha, ein Freund von mir aus Charkiw, ging 2014 an die Front. Er hat sich vor 2014 nie so recht für Politik interessiert, hat russisch gesprochen, aber als dann die Russen 2014 im Donbas standen, hat er sich auf den Weg gemacht und sich als Freiwilliger gemeldet. Im Sommer 2014 ist er drei Monate in russische Gefangenschaft geraten, und dann haben wir uns kennengelernt; er kam auf unsere Lesungen und Konzerte, und wir haben uns angefreundet. Und als dann die neue Phase des Krieges begonnen hat, ist er gleich am dritten Tag wieder losgezogen und kämpft jetzt im Donbas. Und wir helfen seiner Einheit; es ist eine Aufklärungseinheit und sie befindet sich an einem der Brennpunkte und braucht Hilfe. Und das ist eine Geschichte darüber, dass der Krieg eben nicht am 24.2.22 begonnen hat, sondern dass er nur zurückgekommen ist – eine Geschichte über viele freiwillige Frauen und Männer, die für eine gewisse Zeit nach Hause gekommen und jetzt wieder an der Front sind.
 --Serhij Zhadan
  • Auch diese Geschichte ist sehr persönlich, da geht es auch wieder um die Stadt und die Menschen, die dort leben. Es ist der Aufnäher der Einheit, die wir gegründet haben, Chartia heißt sie. Diese Geschichte ist ebenfalls mit einem Freund verbunden, ein ziemlich wohlhabender Freund, der schon vor dem Krieg viel Geld für die Stadt und für die Region gegeben hat. Und als der Krieg begonnen hat, hat er vorgeschlagen, eine Einheit zu gründen. Er hat zunächst Menschen angesprochen, die in seiner Firma tätig waren. Und dann hat er auch Offiziere angesprochen, die in der Lage waren, die Freiwilligen zu schulen. Und mich hat er gebeten, der Einheit einen Namen zu geben. Und ich bin dann auf „Chartia“ gekommen, also der erste Teil aus „Charkiw“, aber ich wollte zugleich auch, dass das Wort „Kunst“ anklingt. Das Bataillon hat mittlerweile schon mehrere hundert Kämpfer, wir sind sehr stolz auf die jungen Frauen und Männer, die da kämpfen und die wir als Freiwillige unterstützen. Die letzte Tour der Band „Sobaky“ diente ebenfalls der Unterstützung dieser Einheit. Die Männer und Frauen, die da kämpfen, sind alles Charkiwer. Die Einheit könnte man übersetzen mit „freiwillige Formation der territorialen Gemeinschaft“, also eine militärische zivilgesellschaftliche Vereinigung, die die Stadt verteidigt. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt: Die Einheit übernimmt Verantwortung für die Stadt, und das ist etwas, das die Russen nicht verstehen, sich nicht vorstellen können. Sie glauben alles Mögliche, dass die Nato gegen sie kämpft, die glauben an mythologisierte Nazis, aber dass es wirklich Bewohnerinnen und Bewohner großer östlicher Städte sind, Charkiw, Poltawa und andere, das können sie sich eben überhaupt nicht vorstellen. --Serhij Zhadan
  • Das ist ein T-Shirt, das ich geschenkt bekommen habe von der 92. Brigade, das ist unsere Charkiwer Brigade, die auch seit 2014 im Einsatz sind. Als die Russen am 24.2. ins Gebiet Charkiw eingedrungen sind, da hat diese gesamte Verteidigungslinie vor der Stadt die 92. Brigade gehalten. Vielleicht wussten die Russen nicht, dass es diese Brigade gibt, aber das war ein fataler Fehler, denn die 92. Brigade hat in den ersten Tagen so viel russische Technik vernichtet, dass die Armee gar nicht auf Charkiw vorrücken konnte, und damit haben die Russen natürlich nicht gerechnet. Die regionale Zugehörigkeit und Identität ist kennzeichnend für viele dieser Brigaden, und man könnte diese regionale Zugehörigkeit auch als historisches Echo deuten, ein Echo der Kosakeneinheiten, die ebenfalls um bestimmte Gebiete herum entstanden sind. Durch diese lokale Zugehörigkeit entsteht natürlich eine wichtige Verbindung, wir wissen: die 92., das sind die Charkiwer!
 --Serhij Zhadan
SOUVENIR/СУВЕНІР
Literaturen und Andenken
aus Mittel- und Osteuropa