Gegen den Krieg Schreiben

Lesung und Gespräch

Michail Schischkin

Literaturhaus Köln
13.6.2023 / 19:30 Uhr

dekorativ
Für das »Souvenir« erinnerte ich mich an ein Interview, das ich im August 1991 zufällig auf der Straße einem deutschen Fernsehteam gegeben habe. Ich habe nur ein paar wenige Worte gesagt, ich war sehr aufgeregt – das ist mein Souvenir: Es tut weh. Mein Sohn lebt heute nicht in einem freien demokratischen Russland, er lebt in Deutschland. Es war die Zeit der größten Hoffnungen. Denn wir waren naiv, wir haben gedacht, wir sind von Kommunisten als Geiseln genommen worden, wenn die Kommunisten weg sind, sind wir frei. Wir haben nicht realisiert, dass die Kommunisten nicht vom Mond gekommen sind und Russland nicht in Richtung Mond verlassen werden. Es gab also keine De-Stalinisierung, es gab keine Nürnberger Prozesse gegen die Kommunistische Partei, die Auferstehung der Diktatur war nur eine Frage der Zeit. Und eine Diktatur braucht – von Natur aus – einen Krieg, braucht Feinde. Jetzt sind wir wieder in der Diktatur.
Michail Schischkin

Michail Schischkin, einer der international meistgefeierten Autoren Russlands, beschreibt im Gespräch mit Thomas Roth, dem Vorsitzenden des Lew Kopelew Forums, den langen Abschied vom hoffnungsfrohen chaotischen Moskau der 1990er-Jahre.

Im Rahmen der Reihe »Souvenir« nimmt er die Unterdrückung des freien Wortes in den Fokus, die historische Kontinuität dieser Unterdrückung und die schrecklichen Folgen der Unfreiheit: Rechtslosigkeit, Kriege, Folter und Mord.

Michail Schischkin ist vermutlich – trotz oder gerade wegen seiner Liebe zu seinem Heimatland – einer der schärfsten Kritiker Russlands. Als einziger Autor erhielt er die drei wichtigsten Literaturpreise Russlands, alle seine Bücher sind Bestseller. Michail Schischkins Missbilligung des Putin-Regimes entspringt also direkt aus der Mitte Russlands. Seine Romane Briefsteller (2012), Venushaar (2011) und Die Eroberung von Ismail (2017, alle DVA) verhandeln russische Geschichte, knüpfen nahtlos an die Klassiker von Turgenjew, Dostojewski und Tolstoi an und entwickeln so die literarische Tradition Russlands weiter.
Michail Schischkin findet deutliche Worte, wenn es um die Analyse der gegenwärtigen russischen Gesellschaft geht. Seine Landsleute, so sagt er, seien kein Volk von Opfern. Gar zu viele unterstützten den russischen Angriffskrieg und würden so selbst zu Kriegsverbrechern. »Russland hat eine Zukunft, nur wenn die Ukraine diesen Krieg gewinnt und es in meinem Land zur nationalen Schuldanerkennung kommt.« Auf der Literaturhausbühne liest Michail Schischkin aus seinen Texten und diskutiert mit Thomas Roth die aktuelle politischen Lage.

Die Reihe »Souvenir« ist ein Projekt des Literaturhaus Stuttgart in Kooperation mit dem Netzwerk der Literaturhäuser und der Projektgruppe für Mittel-, Ost- und Südosteuropa der Bundeszentrale für politische Bildung und mit freundlicher Unterstützung der Ernst Klett AG.

Eine Veranstaltung im Rahmen der Aktionswochen zum Gedenken an 90 Jahre Bücherverbrennung.

Veranstaltungspartner: Lew Kopelew Forum e.V., Bundeszentrale für politische Bildung, Netzwerk der Literaturhäuser e.V., EL-DE-Haus

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Veranstalter: Literaturhaus Köln

Copyright Foto Souvenir: Ekaterina Zershchikova