Von sprechenden Katzen und einem Tiger im Keller eines Kiewer Cafés

Gespräch und Lesung

Yevgenia Belorusets, Pajtim Statovci

Literaturhaus Stuttgart
6.5.2024 / 19:30 Uhr

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Mein Souvenir ist etwas, das mich ein wenig schockiert hat, obwohl mich im Jahr 2023 eigentlich nichts mehr schockieren sollte. Es ist ein Spielkartenset, das eine österreichische Druckerei als Geschenk für die Ukraine angefertigt hat. Die Karten sind so gestaltet, dass man beim Spielen etwas über militärische Explosionsstoffe erfährt und lernt, von was man sich fernhalten sollte. Die Ukraine gehört zu den am stärksten verminten Ländern der Welt und es benötigt eine allgemeine Aufklärung darüber – die Spielkarten sind eine solche Initiative.
Yevgenia Belorusets
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Das ist eine Postkarte mit einem Baum auf der Flucht. Es ist eine Neujahrskarte für 2024 und Teil einer Bilderserie von mir. In dieser Serie geht es darum, dass viele Menschen, so wie Pflanzen, nicht fliehen können. Es geht um Menschen, die aus Pflichtgründen bleiben oder sogar kämpfen, wenn auch nicht ganz freiwillig. Und auch sie würden sich trotz dieses Nicht-Könnens so gerne wegbewegen von der Gewalt, die gerade in der Ukraine herrscht. Die Postkarte soll ein Souvenir sein, das von den Gefühlen erzählt, die mit diesem Jahr verbunden sind.
Yevgenia Belorusets
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Vor ein paar Jahren fing ich an, ein Buch zu schreiben. Der Protagonist erinnert sich zu Beginn daran, dass er als Kind missbraucht wurde, ist sich aber unsicher, ob es tatsächlich passiert ist. Er reist in sein Geburtsland, um Antworten zu finden. Während meiner Recherche für das Buch habe ich all die Dinge durchgesehen, die wir als Familie gesammelt haben, und bin auf meinen alten jugoslawischen Pass gestoßen. Er war voller Stempel und ich begann, mich an die Reisen mit meiner Familie zu erinnern – sonst habe ich nur wenige Erinnerungen an meine Kindheit, sie fühlt sich fast wie ein schwarzes Loch an. Ich rief mir Teile dieser Ausflüge ins Gedächtnis und fragte meine Familienmitglieder danach, aber sie antworteten, dass ich zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse noch gar nicht geboren war. Ich denke, ich habe einfach eine Geschichte gehört und eine falsche Erinnerung geschaffen.
Pajtim Statovci

Mögliche und unmögliche Begegnungen mit Tieren und die Erfahrung von Krieg und Exil verbindet die beiden nächsten Autor:innen in der Reihe »Souvenir«. Yevgenia Belorusets erzählt in ihrem Roman »Über das moderne Leben der Tiere« (übersetzt von Claudia Dathe) mit Humor und in großer Genauigkeit von den Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Hintergrund bildet die Ukraine, ein Land im Krieg, in dem umso dringlicher Fragen nach dem Wesen des Menschen aufgerufen werden. Wenn es stimmt, so Belorusets, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dann kann Menschsein in Realität und Utopie vielleicht am besten über unsere Beziehungen zum Tier erzählt werden – wie z.B. in der Begegnung mit einem Tiger im Keller eines Kiewer Cafés. Yevgenia Belorusets, 1980 geboren, ist Schriftstellerin, Fotografin und Künstlerin. Sie lebt in Kiew und Berlin.

Auch Pajtim Statovci, geboren 1990, kennt als finnisch-kosovarischer Schriftsteller mehrere Kulturräume. Mit zwei Jahren zog er mit seinen albanischen Eltern aus dem Kosovo nach Finnland. Ähnlich wie Belorusets sind auch für ihn Krieg und Exil Erfahrungsräume, die er literarisch verarbeitet. Sein neuer Roman »Meine Katze Jugoslawien« (übersetzt von Stefan Moster) beschreibt die New York Times als »Wunder, und ganz anders als alles, was Sie in diesem Jahr lesen werden.« Emine flieht mit ihrer jungen Familie nach Ausbruch des Krieges in Jugoslawien nach Finnland. Schnell verlernt ihr Sohn Bekim die Sprache seiner Heimat, versucht sich zu integrieren, doch wird er auch als Erwachsener in seiner Queerness ein Außenseiter bleiben. Eines Tages trifft er auf eine sprechende Katze, über die er in die Geschichte seiner Familie im Kosovo eintaucht. Statovci lebt in Helsinki. 

Beide Autor:innen bringen über ihre Texte hinaus ein Souvenir, ein Andenken mit, das eine Verbindung herstellt zwischen ihrem Schreiben, den Herkunftsgeschichten und Familienbeziehungen, den Sprachen und Rissen im Leben. Damit reihen sie sich ein in das Format »Souvenir. Andenken und Literaturen aus Mittel- und Osteuropa«.

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Veranstalter: Literaturhaus Stuttgart

Copyright Foto Souvenir: Ekaterina Zershchikova