Aleksandar Hemon und Leo Vardiashvili

Doppellesung und Gespräch

Aleksandar Hemon, Leo Vardiashvili

Literarisches Colloquium Berlin
29.4.2024 / 19:30 Uhr

dekorativ
Mein Souvenir ist der Schlüssel zur Wohnung meiner Kindheit in Tbilissi, Georgien. Wir besitzen die Wohnung nicht mehr. Es wurde Geld gebraucht, also haben wir sie verkauft. Bedauerlicherweise ist sie inzwischen für niemanden mehr ein dauerhaftes Zuhause, sie wird als Airbnb vermietet. Eine ständige Prozession von Fremden lebt nun dort. Deshalb ist mein Souvenir eigentlich völlig nutzlos. Es ist der Schlüssel zu einem Schloss, welches ihn nicht annehmen wird, in einer Tür, welche einst zur Wohnung meiner Kindheit gehörte.
Leo Vardiashvili
dekorativ
Mein Cousin Ivan ist ein phantastischer Tischler. Früher, als wir die Sommer zusammen bei unseren Großeltern auf dem Land in Bosnien verbrachten, hat er ständig mit einem Messer etwas geschnitzt. Als er später nach Kanada ausgewandert ist, hat er, obwohl er eine ihn sehr schwächende Knochenkrankheit hat, auch dort in seinem Haus alles selbst gebaut. Vor einigen Jahren gab er mir ein Stück Holz. Es ist ein Teil eines Astes, mit einem schrägen Querschnitt, in welchen er ein kleines Loch bohrte, in das er einen Klumpen bosnischer Erde drückte. Die Worte Terra Bosna sind darauf geschrieben. Das Holz ist Hainbuche, das auch »Eisenholz« genannt wird, so hart ist es. Auf dem Land unserer Großeltern standen sehr viele Hainbuchen. Er weiß, dass ich Bosnien liebe und vermisse und so wollte er, dass ich immer ein Stück Bosnien bei mir haben kann, wo auch immer ich hingehe.
Aleksandar Hemon

Dieser Abend setzt die ›Souvenir‹-Reihe fort, in der wir mittel- und osteuropäische Autor·innen nach einem ›Souvenir‹ fragen, einem Begleitstück ihres Schreibens, einer materialisierten Erinnerung.

Bosnien und Georgien und zwei Romane, die mit großen Stoffen umgehen, bilden diesmal den Hintergrund. Der aus Sarajevo stammende Schriftsteller Aleksandar Hemon hielt sich im Rahmen eines Kulturaustauschs in den USA auf, als er im Frühjahr 1992 von der Belagerung seiner Heimatstadt erfuhr. Er beschloss im Exil zu bleiben und hat seitdem ein beeindruckendes Erzählwerk in englischer Sprache geschaffen. Gerade erschienen ist sein Roman »Die Welt und alles, was sie enthält« (Ü: Henning Ahrens, claassen, 2024), dem laut Sigrid Löffler Unglaubliches gelingt: einen Kriegsroman, eine tragische Liebesgeschichte, einen Schelmenroman, eine Erzählung über Migration und ein Geschichtsbuch zusammenzubringen, das sich vom Attentat auf Franz Ferdinand bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und von Sarajevo bis Shanghai spannt.

Auch der in London lebende Leo Vardiashvili ist ein Sprachwechsler; als Kind immigrierte er mit seiner Familie aus dem postsowjetischen Georgien nach England. Und auch sein Roman »Vor einem großen Walde« (Ü: Wibke Kuhn, claassen, 2024) verbindet vieles: eine pikareske Abenteuergeschichte, einen intimen Bericht über eine vom Krieg zerrissene Familie und eine Erzählung, die von einem Geheimnis angetrieben wird – der Suche nach einem Vater, der auf einer Reise in sein Heimatland verschwunden ist.

Das von Karolina Golimowska moderierte Gespräch findet auf Englisch statt, aus der deutschen Übersetzung liest Leo Solter.

Weitere Info

Veranstalter: Literarisches Colloquium Berlin

Copyright Foto Souvenir: Ekaterina Zershchikova