Souvenir - Sofia Andruchowytsch

Doppellesung und Gespräch

Sofia Andruchowytsch, Lana Bastašić

Literaturhaus Hamburg
11.5.2023 / 19:30 Uhr

dekorativ
Das Souvenir, das ich mitbringe, ist eine kleine Tonskulptur. Sie wurde mir von einem mir bekannten Psychiater geschenkt – die Skulptur wurde von einem seiner Patienten angefertigt. Im Jahr 2016 erzählte mir der Psychiater eine Geschichte über einen seiner Patienten, der im Krieg im Donbass kämpfte. Er wurde dort verwundet und verlor sein Gedächtnis. Der Arzt berichtete mir von der Mutter dieses Mannes, die ins Krankenhaus kam, sich vor dem Mann hinkniete, weinte und seine Hände küsste, aber er schaute sie mit einem leeren Blick an, wie er einen Fremden anschauen würde. Er fragte den Arzt: Warum wollen Sie, dass ich meine Erinnerungen zurückbekomme? Was ist, wenn ich ein schlechter Mensch war? Was ist, wenn ich mich nicht an die Vergangenheit erinnern will? Nach ein paar Tagen verschwand der Mann aus dem Krankenhaus. Danach kehrte er zu seiner Armeeeinheit in den Donbass zurück. Diese Geschichte war eine der Quellen, die mich für die Handlung von Amadoka inspiriert haben.
Sofia Andruchowytsch

Im Herbst 2022 startete das Netzwerk der Literaturhäuser die Reihe »Souvenir – Literaturen und Andenken aus Mittel- und Osteuropa«, um osteuropäische Literaturen und kulturelle Gedächtnisprägungen in Beziehung zur kriegserschütterten Gegenwart zu setzen. Dabei führt ein jeweils mitgebrachtes Souvenir in die Poetik und das Werk der Gäste ein und verweist auf literarisch-geografische Räume. Die das Projekt begleitende Fotografin Ekaterina Zershchikova stellt die Andenken in einem digitalen Setzkasten zur Schau.

In Hamburg zu Gast ist die in Kroatien geborene und in Bosnien aufgewachsene Lana Bastašić. Mit ihrem Debütroman »Fang den Hasen« gewann sie 2020 den Literaturpreis der Europäischen Union. Zuletzt erschien ihr Erzählband »Mann im Mond« (S. Fischer; Übersetzung: Rebekka Zeinzinger). Als Mitinitiatorin des »3 + 3 sestre«-Projekts fördert sie das literarische Schaffen von Frauen in der Balkanregion.

Mit ihr ins Gespräch kommt die ukrainische Schriftstellerin, Übersetzerin und Essayistin Sofia Andruchowytsch. 2014 gelang ihr mit »Der Papierjunge« der Durchbruch. 2020 folgte die »Amadoka«-Trilogie, die sich mit Identität und Gedächtnisverlust befasst und deren erster Teil »Die Geschichte von Romana« (Residenz; Übersetzung: Alexander Kratochvil, Maria Weissenböck) nun auf Deutsch vorliegt.

Moderation (englisch-deutsch): Natascha Freundel

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Veranstalter: Literaturhaus Hamburg

Copyright Foto Souvenir: Ekaterina Zershchikova