Trapezherz

Lesung und Gespräch, Soundinstallation, Tanz

Volha Hapeyeva

Literarisches Zentrum Göttingen
14.11.2023 / 20:00 Uhr

dekorativ
Der Schlüssel zu meiner Wohnung in Minsk, das Schloss wurde aber ausgetauscht. Mit diesem Schlüssel bin ich 2019 aus Minsk nach Graz ausgereist und wusste damals nicht, dass ich nie wieder zurückkehren würde. Vor einem Jahr oder so hat meine Mama das Schloss ausgetauscht (sie hatte ihren Schlüssel in der Wohnung vergessen und konnte nicht mehr hinein und musste dann das Schloss austauschen). Dieser Schlüssel ist eine Metapher geworden, ironischerweise gibt es einen Schlüssel, aber es gibt kein Schloss, das man damit öffnen kann. Meine Wohnung ist zwar noch da, aber es gibt so viele Menschen, die ihre Häuser verlassen haben und deren Wohnungen nun nicht mehr existieren, z.B. wegen des Kriegs oder wegen Erdbeben. Dann funktionieren solche Schlüssel wirklich wie ein Souvenir in der Bedeutung von Erinnerung – und nicht als Geschenk. Eine andere metaphorische Möglichkeit den Schlüssel zu deuten wäre, dass man es so sieht: weil ich jetzt keine Möglichkeit mehr habe, mir die Situation in Belarus zu erschließen, weil die Realität sich so radikal verändert hat und ich sie nicht mehr so gut verstehe, kann man sagen, ich habe keinen Schlüssel dafür. Oder man kann sich auch selbst für einen Schlüssel halten, wenn man, wie ich jetzt, auf der Suche nach dem eigenen passenden Schloss oder dem Ort ist, den man sein Zuhause nennen könnte.
Volha Hapeyeva

In Volha Hapeyevas Trapezherz (Droschl 2023) erzählt ein Ich vom Versuch, in einen Koffer zu klettern. Es klappte nicht, »etwas ragte immer hervor«, heißt es da, »die haare oder die gedanken«. In geschmeidigen Versen und glasklarem Ton widersetzt sich die belarussische Autorin politischen wie gesellschaftlichen Machtstrukturen und durchwandert Zeiten und Länder auf der Suche nach den richtigen Worten. Elf Literaturhäuser widmen seit einem Jahr eine Veranstaltungsreihe den Literaturen Mittel- und Osteuropas. Mitgebrachte Souvenirs erzählen dabei vom Überliefern und Zurücklassen, knüpfen Vergangenes an die Gegenwart. Über das Andenken spricht mit Volha Hapeyeva Noemi Schneider; die stete Unstetigkeit der Dichtung übertragen Kristina Veit und Alexandar Hadjiev als Soundinstallation und Tanz mitten in den Lesesaal.

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Veranstalter: Literarisches Zentrum Göttingen

Copyright Foto Souvenir: Ekaterina Zershchikova