Souvenir

Lesungen und Gespräche

Lana Bastašić, Volha Hapeyeva, Eva Viežnaviec

Literaturhaus Zürich
12.4.2023 / 19:30 Uhr

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Meine eigene Hochzeit war eine sehr kleine Angelegenheit und ich entschied mich, rote Schuhe zu tragen. Meine Mutter meinte, das würde Unglück bringen, weil sie nicht weiß seien, was die Unschuld der Braut repräsentiert. Ich habe mich trotzdem entschieden, rote Schuhe zu tragen. Ich mochte auch die Idee von Dorothy aus »The Wizard of Oz« und dachte, wenn ich mich umentscheide, kann ich einfach die Fersen zusammenklicken und werde wegtransportiert. Ich habe es versucht, es hat nicht funktioniert. Und dann kam die freundschaftliche Scheidung, die mir zeigte, wie sehr ich den Mythos der balkanischen Frau internalisiert hatte, nach dem man entweder die Braut eines Mannes oder diejenige von Christus wird, obwohl ich mich selbst als moderne, freie Feministin sehe. Das zweite Mal als ich die Schuhe trug, war ich bereits geschieden und in einer anderen Stadt als eine komplett andere Frau. Ich habe sie also auch getragen, als ich gegangen bin.
Lana Bastašić
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Auf belarussisch nennt man mich »Zigaretten-Stummel« oder »verbrannter Baumstamm«. In beiden Familienlinien komme ich aus einem Dorf, das von den Nazis niedergebrannt wurde. Meine Großmutter kroch aus einer brennenden Scheune, legte sich in eine Pfütze und stellte sich tot. Diese Ikone, die ich mitgebracht habe, hat ebenfalls in einer Pfütze überlebt. Es ist das einzige Vermächtnis meiner Familie, das älter ist als der Zweite Weltkrieg. Für mich bedeutet dieses Bild, dass ich nicht zu viele Dinge brauche: Ich habe nur einen Sohn, nur eine Katze, nur einen Gott und nur ein Zuhause. Als ich von Belarus nach Polen ging, gab mir meine Mutter diese Ikone, was mich sehr glücklich machte. Denn seit meiner Kindheit habe ich mich daran gewöhnt, unter dem Licht dieser großen, schönen, göttlichen Augen aufzuwachen. Auf der Ikone steht: »Kommt zu mir, alle, die ihr am Ende seid, abgearbeitet und mutlos: ich will euch Erholung und neue Kraft schenken.« (Matthäus, 11:28)
Eva Viežnaviec
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Leider konnte ich nichts von zu Hause mitbringen, da ich lange nicht dort war. Aber ich habe eine belarussische Wolke mitgebracht, die meine Mutter vom Balkon aus fotografiert hat. Wolken haben dieselben Mechanismen wie Erinnerungen, sie transformieren sich. Dabei haben wir unterschiedliche Erinnerungstypen, und manchmal haben wir sogar falsche Erinnerungen. Nicht alles, an das wir uns aus der Kindheit erinnern, sind unsere eigenen Erinnerungen. Vieles sind Geschichten, die uns erzählt wurden und die wir einfach glauben müssen. Aber wie viel können wir glauben? Wie gut können diese Personen sich erinnern? Und sind die Geschichten nicht bereits durch deren Gesichtspunkt geprägt? Die Wolke ist ein sehr nomadisches Ding, das man nicht anfassen kann, sehr flüchtig ist und uns doch viel bringen kann: Schatten, Regen, Schnee. Im Belarussischen haben wir zwei Worte dafür: eines meint die helle, weiße Wolke und das andere die dunkle, die definitiv Regen bringen wird.
Volha Hapeyeva

In der Reihe »Souvenir« kommen Autor:innen aus Mittelosteuropa miteinander ins Gespräch.

Neben ihren aktuellen Büchern bringen unsere Gäste je ein Andenken (ein Souvenir) mit, das uns in ihre literarisch-geografischen Räume führt. Lana Bastašić ist eine der aufregendsten literarischen Stimmen aus Südosteuropa. Nachdem sie 2021 als Writer in Residence im Literaturhaus Zürich zu Gast war, kehrt sie jetzt mit dem Erzählband »Mann im Mond« (S. Fischer 2023, aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger) zurück. Die belarusische Autorin Volha Hapeyeva durchstreift in ihrem Lyrikband »Trapezherz« (Droschl 2023, aus dem Belarusischen von Matthias Göritz) Sprachen und Länder, Zeiten und Planeten. Der Roman »Was suchst du Wolf« von Eva Viežnaviec (Zsolnay 2023, aus dem Belarusischen von Tina Wünschmann) würdigt die Frauen einer ganzen Generation – eingebettet in die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ein Projekt des Literaturhaus Stuttgart in Kooperation mit dem Netzwerk der Literaturhäuser, der Bundeszentrale für politische Bildung, mit freundlicher Unterstützung der Ernst Klett AG.

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Veranstalter: Literaturhaus Zürich

Copyright Foto Souvenir: Ekaterina Zershchikova