Karl Heinz Bohrer: Artistische Naivität: Brentanos Poesie der Unschuld
Veranstaltungsdaten
»In Anlehnung an Heines Charakteristik der Sammlung Des Knaben Wunderhorn als »holdseligste Blüte des deutschen Geistes« geht der Vortrag der Frage nach, warum und inwiefern Brentanos eigene Poesie einer ähnlichen Poetik der Unschuld folgt, die von Volksliedmotiven (oder dafür gehaltenen) inspiriert ist. Es soll ausnahmsweise also nicht um die als avantgardistisch-modern gewertete Späte Lyrik (Der Traum der Wüste, Wenn der lahme Weber träumt) gehen, sondern um die frühen Gedichte Zu Bacharach am Rheine, Wiegenlied, Hör' es Klagt die Flöte wieder sowie um die Geschichte vom Braven Kasperl und dem schönen Annerl (1817). Abgesehen von dem Hinweis der Attraktion der frühen Lyrik Brentanos und der Erzählungen Arnims für den Französischen Surrealismus (G. Apollinaire und A. Breton) wird Brentanos gesuchte Einfachheit vor allem als Medium Künstlerischer Effekte dargetan und als Paradox von Naivität und Artistik diskutiert. Die gesuchte Unschuld wird als ein von Brentano etabliertes poetologisches Prinzip erkannt, dessen wichtigstes metaphorisches Darstellungsmittel das mythologisch-phantastische Motiv ist. Entscheidend dabei ist - im Unterschied zum Phantastischen Novalis', Tiecks, E.T.A. Hoffmanns - dass dem Phantastischen Brentanos (u. Arnims) keine symbolische Referenz entspricht, sondern es die Aura autonomer Bildlichkeit besitzt. Die Doppeldeutigkeit, kein wirklicher Moderner (wie die Frühromantiker) zu sein und dennoch das moderne Bewusstsein zu fesseln, ist als Essenz von Brentanos kalkulierter Naivität identifiziert: ein kleiner Beitrag zu Mythos und Moderne.« (K.H. Bohrer)
Eintritt: Euro 7,-/5,-/3,50
Im Rahmen des Literatursommers Im Spiegel der Romantik der Landesstiftung Baden-Württemberg