Vladimir Sorokin, Masha Gessen: Manaraga: Book’n‘Grill & Die Zukunft ist Geschichte
Veranstaltungsdaten
19.00 – 20.00 Uhr
Manaraga: Book’n‘Grill - Vladimir Sorokin
Moderation: Aleksej Khairetdinov
Lesestimme: Sebastian Röhrle
In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts werden Bücher nicht mehr gelesen, geschweige denn neu gedruckt, sie dienen als Brennmaterial für die Zubereitung exklusiver Speisen. Book’n‘Grill heißt der
neue Trend und Chefkoch Geza ist sein Hohepriester. Stör-Schaschlik über Dostojewskis „Der Idiot“ oder Schnitzel über Arthur Schnitzler, mit diesen und anderen Kreationen begeistert er seine zahlungskräftige Klientel. Doch was Erfolg hat, findet auch Nachahmer und so sieht sich Geza plötzlich vor unerwartete Probleme gestellt. Sorokins neues Buch ist ein Romanfeuerwerk
voll absurder Einfälle und beißender Gesellschaftskritik. Vladimir Sorokin, geboren 1955, gilt als der bedeutendste zeitgenössische Schriftsteller Russlands. Er wurde bekannt mit Werken wie »Die Schlange«, »Marinas dreißigste Liebe«, »Der himmelblaue Speck« und »Der Schneesturm«. Zuletzt erschien von ihm der große polyphone Roman »Telluria«. Sorokin ist einer der schärfsten Kritiker der politischen Eliten Russlands und sieht sich regelmäßig Angriffen regimetreuer Gruppen ausgesetzt.
Kurze Pause
20.30 -21.30 Uhr
Die Zukunft ist Geschichte - Masha Gessen
Lesestimme: Sebastian Röhrle
Für ihr Buch „Die Zukunft ist Geschichte - Wie Russland die Freiheit gewann und verlor“ erhielt sie den National Book Award 2017 und den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2019: Masha Gessens herausragendes Russland-Buch ist nicht nur fesselnd wie ein Gesellschaftsroman, sondern vor allem angetrieben von dem leidenschaftlichen Wunsch zu verstehen, warum ein Land, das in einem ungeheuren Kraftakt seine lähmenden Machtstrukturen abschütteln konnte, zu einem autoritär geführten Staat mit neoimperialen Zügen geworden ist und heute unter Bevormundung und Repression leidet. Im Zentrum stehen vier Menschen der Generation 1984. Sie kamen in die Schule, als die Sowjetunion zerfiel, und wurden unter Präsident Putin erwachsen. Dazu gehören junge Menschen aus unterschiedlichen sozialen und familiären Verhältnissen wie Zhanna, deren Vater Boris Nemzow, ein prominenter Reformer, mitten in Moskau erschossen wurde. Oder Ljoscha, der als schwuler Dozent seine Stelle an der Uni Perm verliert. Die große Erzählung von Aufbrüchen und gescheiterten Hoffnungen der Jungen wird flankiert von den Bildungsgeschichten des liberalen Soziologen Lew Gudkow, der Psychoanalytikerin Marina Arutjunjan und des rechtsnationalistischen Philosophen Alexander Dugin. Ins Deutsche übertragen wurde der Text von Anselm Bühling. Masha Gessen, geboren 1967 in Moskau, wurde mit Büchern wie „Der Mann ohne Gesicht: Wladimir Putin. Eine Enthüllung“ (2012) bekannt. Sie schreibt für das Magazin „The New Yorker“, lehrt am Amherst College und lebt in New York.
Gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung
Veranstaltungen der Reihe ""Etwas in der Sprache ging kaputt, knackte wie das Eis auf dem Stausee im März." Ukraine & Russland. Literaturen, Politiken und Perspektiven"
Lesungen und Gespräche | April – Juli 2019
Ukraine & Russland. Literaturen, Politiken und Perspektiven
„Denn die Politik tritt in dein Leben, auch wenn du dich nicht für sie interessierst: Der Krieg kommt in
dein Dorf.“ Serhij Zhadan
Vor fünf Jahren hat das Stuttgarter Literaturhaus die friedlichen Proteste auf dem Kiewer Maidan und die eskalierende Entwicklung nur wenige Monate später zum Anlass seiner literarischen Reihe „Rebellen“ genommen, in der Literatur als Visionsraum in Prozessen gesellschaftlichen Umbruchs befragt wurde. In der Zwischenzeit wurde die Krim von Russland annektiert und in der Ostukraine begann ein blutiger Krieg mit Millionen Binnenflüchtlingen und vielen getöteten Menschen, ohne Aussicht auf ein baldiges Ende. In einer Politik der Verunsicherung und in einem Klima tiefgreifenden Misstrauens wurden und werden in Russland Künstler und Intellektuelle unter Druck gesetzt. Wir haben es mit einem Krieg in Europa zu tun, der nach einer kurzen Phase medialer Aufmerksamkeit nur allzu rasch wieder aus dem Blickfeld geriet. Zugleich haben wir es in nahezu allen europäischen Ländern mit dem Erstarken des Rechtspopulismus’ zu tun, mit der Aushöhlung von Demokratie. Wichtige Scharnierstelle in dieser Gemengelage ist die Sprache, sind die Worte. Literatur bildet einen Ort der Mehrdeutigkeiten, die wir im alltäglichen Schlagabtausch oftmals nicht auszuhalten bereit sind.
„Etwas in der Sprache ging kaputt, knackte wie das Eis auf dem Stausee im März und würde jeden Moment in unzählige schwere, scharfe Stücke brechen“, schreibt Serhij Zhadan in seinem jüngsten Roman „Internat“, für den er 2018 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet wurde. Das Knacken des Eises, die schweren scharfen brechenden Stücke aus Zhadans Literatur setzen wir in dieser neuen Veranstaltungsreihe im Stuttgarter Literaturhaus in einen politischen und gesellschaftlichen Resonanzraum. Denn: Unter dem Eis auf dem Stausee im März wartet Leben.