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Bov Bjerg: Nähen

Veranstaltungsdaten

Es gibt kein Toilettenpapier mehr zu kaufen, nirgendwo, überall sind die Regale leer, selbst auf dem Weltmarkt ist es nicht mehr zu bekommen, heißt es,
ich muss welches nähen, mit der alten schwarzen Nähmaschine, auf der in Goldbuchstaben SINGER steht, der Nähmaschine mit dem großen Pedal, einem Gußeisengitter knapp über dem Boden,
die Füße wippen schnell, schneller, Hacke runter, Zehen runter, Hacke runter, Zehen runter, die Nadel schießt, hui!, auf und ab, ein dünner glänzender Strich,
ich nähe Toilettenpapier, Meter, Kilometer, es rollt sich auf, die Rollen sammeln sich zu Achterpacks, sie stapeln sich,
ich nähe für mich, Familie, Haus, Stadt, ich nähe für die Krankenhausbeschäftigten, endlich!, Toilettenpapier für die ganze Welt.
Plötzlich sitzt neben mir Christian Lindner. Er will mir die Nähmaschine abkaufen. Ich weise ihn darauf hin, dass er gar keine Beine hat.
Aufgewacht.
Man darf die Produktionsmittel nicht aus der Hand geben.

Bov Bjerg, Jahrgang 1965, ist Schriftsteller und Vorleser. Er gründete mit Freunden verschiedene Berliner Lesebühnen: Dr. Seltsams Frühschoppen, Mittwochsfazit, Reformbühne Heim & Welt. Sein erster Roman hieß „Deadline“, sein zweiter „Auerhaus“, letzterer ist für verschiedene deutsche renommierte Theaterhäuser adaptiert und inszeniert worden.

Veranstaltungen der Reihe "Minutennovellen"

Miniaturen, Konzentrate, literarische Brühwürfel – zu lesen in nur einer Minute. Allerdings verbunden mit aufregenden Nach- und Nebenwirkungen. Autor*innen unseres Frühjahrsprogramms, deren Veranstaltungen im Stuttgarter Literaturhaus durch die Corona-Epidemie bedingt leider ausfallen, haben statt vor Publikum aus ihrem neuen Buch zu lesen, exklusive „Minutennovellen“ für Sie geschrieben. Jeden zweiten Tag - finden Sie ab jetzt Kürzesttexte auf unserer Website und auf Facebook, ergänzt um den Hinweis auf die Neuerscheinung der jeweiligen Autorin, des Autors – für alle weiteren Folgeminuten! Der Titel „Minutennovellen“ ist dem Band des ungarischen Schriftstellers István Örkény entlehnt (1912–1979, Übersetzung: Terézia Mora, Suhrkamp Verlag).