Über Spanien lacht die Sonne: Julia Bernhard, Bea Davies, Kathrin Klingner, Anke Kuhl, Brigitte Helbling
1. Langer Comicabend in StuttgartVeranstaltungsdaten
»Der Comic hat in Deutschland einen recht schweren Stand. Das hat historische Gründe, die aus einer ästhetischen Arroganz entstanden sind. Die deutschen Karikaturen galten im 19. Jahrhundert als das Beste, was an komischer Kunst in der Welt passierte. Als dann in Amerika die Comics entwickelt wurden, da haben sich die Deutschen gedacht: ›Mein Gott, was sollen wir uns mit diesen komischen Dingern abgeben, wir haben schon das Allerbeste, was die Welt zu bieten hat.‹ In dieser Hinsicht sind wir eine verspätete Nation. Aber dafür hat sich seitdem eine Menge entwickelt.« Andreas Platthaus
Und was sich da entwickelt hat! Das Stuttgarter Literaturhaus, die Stadtbibliothek und die Berthold Leibinger Stiftung laden ein zum 1. Langen Comicabend und stellen fünf herausragende Comickünstlerinnen der Gegenwart vor – eine Hommage an die jüngst verstorbene Feministin und Comiczeichnerin Claire Bretécher inbegriffen.
17.00 – 17.45 Uhr: Manno! Alles genau so in echt passiert
Anke Kuhl | Moderation: Brigitte Helbling
Ausgezeichnet mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung 2019, war Anke Kuhls Comic Manno! im Frühling letzten Jahres als Ausstellung im Literaturhaus zu sehen und ist nun Ende Februar 2020 als Kinderbuch im Klett Verlag erschienen. Manno! erzählt in herrlichen Episoden von der Kindheit der kleinen Anke in einer hessischen Kleinstadt; eine Welt, in der Oma und Opa noch im selben Haus leben und in der man nachmittags auf ziemlich abseitige Ideen kommt. Eine Welt, die bei aller Familienintimität nicht ohne Brüche ist. Anke Kuhl wurde 1970 in Frankfurt geboren, arbeitet als Illustratorin und Autorin für verschiedene Verlage und lebt mit ihrer Familie in Frankfurt am Main.
18.00 – 18.45 Uhr: Über Spanien lacht die Sonne
Kathrin Klingner | Moderation: Sara Dahme
»Eine Handvoll Angestellte, die für ein Medienunternehmen Internetkommentare überprüfen, steht im Mittelpunkt der kleinen, komödiantisch reduzierten Geschichten von Arbeit und Rauchpausen, Betriebsfeiern und Freizeit«, schreibt die Jurorin Brigitte Helbling über den Comic Über Spanien lacht die Sonne von Kathrin Klingner. Kitty wird als Aushilfe bei einem Hamburger Medienunternehmen eingestellt, das unzulässige Hassbotschaften und Onlinekommentare prüft. Hinter Lamellenvorhängen und Zimmerpflanzen moderieren sie und ihre Kolleg*innen Verschwörungstheorien, die in jenem Jahr 2015 unter dem Stichwort »Flüchtlingskrise« durch das Internet ziehen. Kathrin Klingner, geboren 1979, studierte Kunst an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam und Illustration in Hamburg, wo sie immer noch lebt und arbeitet. 2018 war sie Finalistin für den Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung.
19.00 – 19.45 Uhr: Der König der Vagabunden – Gregor Gog und seine Bruderschaft
Bea Davies | Gesprächspartner: Günter Riederer
Stuttgart, Pfingsten 1929: Die Polizei errichtet Straßensperren, in der Stadt sind die Vorhängeschlösser ausverkauft. Gregor Gog (1891–1945), landesweit berühmt als der »König der Vagabunden«, trommelt zum Internationalen Vagabundenkongress und ruft den »lebenslangen Generalstreik« aus, um Obdachlosen zu helfen und sie politisch zu organisieren. Der Comic Der König der Vagabunden – Gregor Gog und seine Bruderschaft führt uns nicht nur nach Stuttgart, sondern zugleich auch »durch ein Kapitel der Weimarer Republik, das wenig beleuchtet ist. Der virtuose Übermut, der das Skript von Patrick Spät kennzeichnet, findet in den schwarz-weißen Tuschezeichnungen von Bea Davies eine lebendige Entsprechung«, so der Juror Florian Höllerer über den Finalistencomic aus dem Jahr 2019. Bea Davies, 1990 in Acquapendente (Italien) geboren, studiert an der Weissensee Kunsthochschule Berlin und ist ehrenamtlich in
der Obdachlosenhilfe engagiert. Ins Gespräch kommt sie mit dem Historiker Günter Riederer vom Stadtarchiv Stuttgart.
20.00 – 20.30 Uhr: Anklopfen!
Ich hätte mit Prinz William zusammen sein können!
Hommage für Claire Bretécher | Brigitte Helbling
Mit Comics über pubertierende Mädchen wie Agrippina wurde Claire Bretécher weit bekannt, Roland Barthes erklärte sie einst zur wichtigsten Soziologin Frankreichs. Nun ist die französische Autorin und Zeichnerin mit 79 Jahren im Februar 2020 gestorben. Mit Knollennase und schlechter Laune kämpften sich Agrippina und ihre Freundin Bergère durch ihre erwachende weibliche Sexualität. In der Kombination aus bösem Humor und Freizügigkeit beeinflusste Bretécher auch deutsche Cartoonisten und Comiczeichner wie Franziska Becker und Ralf König. Ihre ersten Zeichnungen veröffentlichte die am 17. April 1940 in Nantes geborene Bretécher ab den 1970er Jahren; sie brachte rund 30 Comicalben heraus.
20.45 – 21.30 Uhr: Wie gut, dass wir darüber geredet haben
Julia Bernhard | Moderation: Markus Pfalzgraf
Wie gut, dass wir darüber geredet haben ist ein Manifest der leisen Wut, der Feier der Lakonie, den Zuständen der Depression und der gescheiterten Kommunikation zwischen gehässiger Oma, liebevoll diarrhöischem Mops, einer passivaggressiven Zimmerpflanze und der Protagonistin. »Ob Liebe, Familienplanung oder Karriere: Julia Bernhard konfrontiert uns in beißenden Dialogen und pointierten inneren Monologen mit überkommenen Erwartungshaltungen an junge Frauen. Die klar und reduziert gezeichneten Episoden verbindet sie durch ein Schutz bietendes Sofamöbel, in dem die Hauptfigur zum Ende hin gar zu verschwinden scheint«, so die Jurorin Stefanie
Stegmann über die Finalistin um den Comicbuchpreis 2019.
In Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Stuttgart und der Berthold Leibinger Stiftung