Souvenir: Alhierd Bacharevič, Radmila Petrović

Lesung und Gespräch

Alhierd Bacharevič, Radmila Petrović

Literaturhaus Zürich
2.4.2024 / 19:30 Uhr

dekorativ
Meine Souvenirs sind zwei ganz kleine Eicheln aus Minsk. Pawel Sewjarynez, ein Schriftsteller aus Minsk, hat sie mir letztes Jahr in Warschau geschenkt und jetzt habe ich diese beiden kleinen Eicheln, die mich natürlich jeden Tag an meine Heimatstadt Minsk erinnern. Sie liegen immer in Hamburg in meinem Arbeitszimmer auf dem Schreibtisch. Vielleicht bin ich die eine Eichel und die andere ist vielleicht meine Frau und Kollegin Julija Zimafejewa. Aber es kann auch sein, dass es genau umgekehrt ist. Sie sehen so berührend, sie sehen so – vielleicht - erotisch aus und natürlich symbolisieren sie für mich auch mein Leben: Sie sind in Minsk aufgewachsen und jetzt leben sie in Hamburg und in verschiedenen Orten Europas – aber leben sie wirklich oder sind sie schon tot? Das weiss ich nicht genau. Sie sehen gar nicht tot aus. Ich glaube, sie leben noch. Zumindest möchte ich daran glauben. Für mich sind diese zwei Eicheln etwas so Persönliches, so Schönes.
Alhierd Bacharevič
dekorativ
Mein Heimatdorf Arilje ist die selbsternannte Welthauptstadt der Himbeere und deshalb hatten Himbeeren einen sehr grossen Einfluss auf mein Leben. Meine Eltern sind Landwirte und bauen hauptsächlich Himbeeren an: Während andere in den Sommerferien ans Meer gingen, pflückte ich also Beeren. Die ersten Gedichte, die einst in diesen Sommerferien entstanden sind, habe ich in den Himbeeren und über die Himbeeren geschrieben. Das zwölfstündige Pflücken jeden Tag hat aber auch dazu geführt, dass ich aus dem Dorf weg und etwas anderes machen wollte. Weil die Himbeer-Bauern ständig protestierten und ich verstehen wollte, wie der Markt funktioniert, habe ich dann Wirtschaft studiert. Das Wirtschaftsstudium war aber eigentlich nicht mein Backup. Ich wollte nämlich nie Gedichte schreiben und mit der Wirtschaft Geld verdienen, ich wollte gar nie Dichterin werden, sondern eine ernsthafte Businessfrau. Doch es kam anders. Wenn Sie mal nach Arilje kommen, werden Sie verstehen, weshalb die Leute dort nur und ausschliesslich über Himbeeren sprechen: Wie entwickeln sich die Preise, wie läuft die Ernte, hast du wieder neue Arbeiter angestellt… die Himbeeren sind das Hauptthema. Für mich hat es eine vierjährige Pause vom Himbeerpflücken gebraucht, bis ich sie wieder essen konnte.
Radmila Petrović

In der Reihe «Souvenir» bringen Autor*innen aus Mittelosteuropa neben ihren Büchern je ein Andenken mit, das uns in ihre literarisch-geografischen Räume führt.

Alhierd Bacharevičs Romanepos «Europas Hunde» (Voland & Quist 2024, aus dem Belarussischen von Thomas Weiler) erzählt von Europa am Vorabend einer Katastrophe. Das Buch machte Furore, es gab Aufführungen in Minsk, London, Paris, Adelaide und Berlin. Mittlerweile ist der Roman in Belarus verboten und Bacharevič lebt seit Ende 2020 im Exil. Radmila Petrović zählt zu den gefragtesten Lyrikerinnen in Ex-Jugoslawien. Ihr Gedichtband «Meine Mama weiss, was in den Städten vor sich geht» (V & Q 2023, aus dem Serbischen von Denijen Pauljević und Philine Bickhardt) kreist um Familie, Dorfleben, Kindheitstraumata und weibliche Perspektiven auf die von massgeblich Männern geführten Kriege.

Moderation: Ilma Rakusa

Deutschsprachige Lesung: Lara Körte

Weitere Info

Veranstalter: Literaturhaus Zürich

Copyright Foto Souvenir: Ekaterina Zershchikova