Souvenir

Lesung und Gespräch

Rumena Bužarovska, Faruk Šehić

Literaturhaus Zürich
30.11.2022 / 19:30 Uhr

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Ich habe Alkohol mitgebracht, Rakija, ein Traubenbrandy oder Schnaps, wie es hier heisst. Rakija ist sehr gut, wenn man etwas dazu isst. Sonst kann er einen verrückt machen, denn es ist ein sehr starker Alkohol. In Mazedonien trinken ihn viele Menschen, weil er billig ist, oft machen sie ihn auch selbst. Besonders wenn er selbstgemacht ist, weiss man nie, wie er auf einen wirkt. Das ist unsere Medizin und eine andere Form von Medizin, die die Menschen in Mazedonien zu sich nehmen – und nicht darüber sprechen, wie meine Kurzgeschichten zeigen – sind alle möglichen Pillen. Viele Menschen, besonders Frauen, nehmen, ohne darüber zu sprechen, diese Pillen, weil in dieser Region so viel Stress und Traumata vorhanden sind. Rakija ist auch eine Medizin dafür und ich sage nicht, dass es eine gute Medizin ist. In meinen Geschichten trinken viele der Figuren Rakija und stellen dann verrückte Dinge an.
Rumena Buzarovska
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Es ist ein metallener Clip, um Papier zusammenzuhalten. Das ist nicht mein eigentliches Souvenir, mein eigentliches Souvenir kann ich dem Literaturhaus nicht geben, weil es ein sehr teurer Stift von Montblanc ist. Es gibt diese sehr sonderbare Geschichte mit dem Montblanc-Stift, die sich hier in Zürich abgespielt hat. Und der Clip hängt mit Zürich zusammen, weil ich ihn während meinem Schreibaufenthalt in Zug für meine Notizen gekauft habe. Zur Geschichte mit dem Montblanc-Stift: Ein Leser von mir, der aus meiner Region in Bosnien stammte und den ich noch nie getroffen hatte, wohnte in der Nähe von Zürich und kontaktierte mich häufig, da er mich treffen wollte. Mal hatte ich aber keine Zeit oder war müde, manchmal hatte er keine Zeit. Eines Tages scrollte ich durch Facebook und etwas Seltsames passierte: Ich sah den Post einer Frau, die ich nicht kannte, aber mit der ich auf Facebook befreundet war, und sie schrieb, dass sie ihren Sohn verloren hatte. Und weil ich die Nachnamen der beiden kannte, dachte ich, dass es nicht möglich sei. Denn er hatte mich kontaktiert und geschrieben, dass wir uns am nächsten Tag um ein Uhr treffen können. Als ich daran war, mich auf den Weg zu machen, wartete ich auf eine Nachricht von ihm. Aber natürlich kam diese Nachricht nie, weil er tatsächlich in der Nacht gestorben war. Ich war traurig, weil ich diese Person nie kennengelernt habe und ich kaufte ein Notizbuch und fing an, mit dem Montblanc-Stift darüber zu schreiben.
Faruk Senic
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Mein Souvenir hat eine doppelte Geschichte. Es ist tatsächlich ein Souvenir aus Dubrovnik. Und es hat eine doppelte Geschichte, weil nicht ich es gekauft habe, sondern ein berühmter Autor aus Split. Als er starb, wurde ich vom Nachlassverwalter eingeladen und dieser sagte mir, dass ich ein Souvenir aus der Wohnung des Autors nehmen darf. Ich habe mich für dieses hier entschieden, weil es ein Souvenir von der letzten Reise des Autors nach Dubrovnik vor dem Krieg ist. Und es hat etwas Ironisches, weil dieses Motiv von tanzenden Menschen in Folk Kleidung ein Symbol für das Zusammensein der Menschen aus allen jugoslawischen Nationen war. Aber nur drei Jahre später war Dubrovnik im Krieg. Und dieses Bild hat nichts mit Dubrovnik selbst zu tun, da dort niemand diese Kleidung trägt. Das Souvenir aber erzählt eine andere Geschichte. Und es ist sehr wichtig für mich, weil es aus der Wohnung des Autors stammt und es sein Souvenir war.
Alida Bremer

In der Reihe «Souvenir» kommen Autor*innen aus Mittelosteuropa miteinander ins Gespräch. Neben ihren aktuellen Büchern bringen sie je ein Andenken (ein Souvenir) mit, das uns in ihre literarisch-geografischen Räume führt. Rumena Bužarovska wurde mit dem Erzählungsband «Mein Mann» (Suhrkamp 2021) zu einem Shootingstar der südosteuropäischen Literaturszene, sie setzt sich für eine offene, diverse Gesellschaft in Nordmazedonien ein. Der bosnische Autor Faruk Šehić schreibt auf manchmal hyperrealistische, manchmal sehr poetische Art Kurzgeschichten und Gedichte über Kriegstraumata und Fragen der Identität. Das Gespräch führt die Autorin und Übersetzerin Alida Bremer: In ihrem Gesellschaftsroman «Träume und Kulissen» erzählt sie vom Leben im Split der 1930er Jahre.

Ein Projekt des Literaturhaus Stuttgart in Kooperation mit dem Netzwerk der Literaturhäuser, der Bundeszentrale für politische Bildung, mit freundlicher Unterstützung der Ernst Klett AG und der Stiftung Landis & Gyr.

Sprache: Das Gespräch findet auf Englisch statt, die Textpassagen werden auf Deutsch vorgelesen.

Weitere Info

Veranstalter: Literaturhaus Zürich

Copyright Foto Souvenir: Ekaterina Zershchikova