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Martin Piekar: Draußen vor dem Fenster

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Ich stehe unterm Fenster und reiche meiner Mama Einkäufe. Ich nehme daraufhin Müll entgegen. Meine Mutter ist Angstpatientin gewesen, ich deshalb wohl immer ein wenig rücksichtslos. Ich habe jetzt Angst zu meiner Mutter zu gehen. Sie ist auch COPD-Patientin. Ich sage ihr, sie soll alles aus den Tüten abwaschen und die Tüten dann in Gelbe Säcke und auf den Balkon tun. Die Äpfel sind mir beim Tragen auf die Straße gefallen, ich weiß, dass sie sie waschen wird, aber ich betone, sie soll alles waschen. Sie blickt mich aus dem Hochparterrefenster an und sagt: "Marcin, no an irgendwas ich muss sterben." Aber nicht an mir, sage ich. Ich stehe auf der Straße, trinke Limo aus einer Dose und fühle mich peinlich, weil alle sehen können, wie ich meine Mutter nicht in den Arm nehmen kann. Ich stehe fünf Meter entfernt. Ich bin ihre eingetragene Pflegeperson. Ich sage ihr, dass sie sich alles für zwei Wochen einteilen soll. Ich habe keine Angst vor Viren, nur vor Menschen. Ich riskiere nichts mehr.

Martin Piekar, geboren 1990, war Lyrikpreisträger beim 20. Open Mike. 2018 erhielt er den Jurypreis des Irseer Pegasus‘. Derzeit arbeitet er an seinem dritten Gedichtband „livestream & schizofrenia – ein spazier“ sowie an seinem Romanprojekt „Vom Fällen eines Stammbaums“. 2018 erschien sein Gedichtband „AmokPerVers“ im Verlagshaus Berlin.